Asyl-Entscheidung:Flucht eines Attentäters

Lesezeit: 2 min

Ein Afghane entkommt dem Taliban-Ausbildungslager, flieht nach Deutschland und stellt einen Asylantrag. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hält seine Geschichte für so unglaublich, dass sie einfach nicht erfunden sein kann.

Wolfgang Janisch

Wahrscheinlich hören sie derart viele abenteuerliche Geschichten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass sie dem 35-jährigen Afghanen einfach nicht glauben wollten. Jedenfalls schien ihm sein Pech treu zu bleiben, auch in Deutschland - sein Asylantrag wurde im Februar abgelehnt. Doch dann zog er vor das Verwaltungsgericht Stuttgart, und dort hielt man seine Geschichte für so unglaublich, dass sie einfach nicht erfunden sein konnte.

Das Unglück begann schon vor Generationen. Seine Familie - Paschtunen - war mit einer anderen Familie verfeindet, schon die Großväter bekämpften sich, und vor fünf Jahren fiel sein Vater einem Racheakt zum Opfer. Nun musste der Mann sich anstrengen, für den Unterhalt der Familie zu sorgen, die Landwirtschaft warf nicht genug ab. Da verfiel er auf die folgenschwere Idee, im Straßenbau anzuheuern. Bei den Amerikanern. Nur zehn Tage lang, doch in dieser Zeit tauchten - so berichtete er dem Gericht - fünf Taliban auf. Sie schlugen und beschimpften ihn, weil er für den Feind arbeite. Er arbeite für seine Familie und für seinen Magen, nicht für den Feind, entgegnete er, vielleicht war das der rettende Geistesblitz. Sie ließen sie ihn am Leben, verbanden ihm die Augen und verschleppten ihn. Als man ihm die Binde abgenommen habe, sei er in einer Gegend voller Höhlen gewesen. Ein Ausbildungslager der Taliban - der Mann war als Schüler ausersehen.

Zuerst ließ sich der Unterricht harmlos an, Propaganda, Dschihad, Koranverse. Doch dann habe man ihm eine Weste angezogen. Er müsse einen Umhang überwerfen und - sobald er sein Ziel erreicht habe - auf einen Knopf drücken, erklärte man ihm. Dann werde er sofort ins Paradies eingehen. Gut nur, dass die Wächter schläfrig waren. Nach zwei Monaten habe er sich davongeschlichen und bis nach Peshawar durchgeschlagen. Er rief seinen Schwager an, doch der hatte keine guten Nachrichten. Inzwischen seien die staatlichen Sicherheitskräfte auf der Suche nach ihm - weil er jetzt ja für die Taliban arbeite.

Der Rückweg ins alte Leben war endgültig abgeschnitten. Mithilfe des Schwagers fand er einen Schleuser, irgendwie brachte die Familie das Geld auf - 11 700 Euro -, und vor einem Jahr landete er in Deutschland. Vielleicht hatten sie ihn beim Bundesamt gar nicht richtig verstanden, er spricht einen Dialekt der südafghanischen Provinz Paktia, der Dolmetscher konnte nur Hoch-Paschto. Die Verwaltungsrichter in Stuttgart dagegen nahmen es ihm ab, dass er in Afghanistan keine Zukunft mehr hat: Er wurde als Flüchtling anerkannt.

© SZ vom 12.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: