Asien:Vor der zweiten Welle

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Im Krisenmodus: Betrieb am Flughafen Shanghai. (Foto: Hector Retamal/AFP)

China verzeichnet zum ersten Mal seit dem Ausbruch im Dezember keine Neuansteckungen im Land mehr. Dafür reisen jetzt kranke Menschen ein. Auch die Nachbarländer sind beunruhigt.

Von Lea Deuber und Arne Perras, Peking/Singapur

Während sich in Europa und in den USA das Virus weiter rasant ausbreitet, trifft die ostasiatischen Staaten nun eine zweite Erkrankungswelle. Jene Länder also, die eine Weile den Eindruck vermittelten, als hätten sie das Schlimmste bereits hinter sich. Ausgelöst werden die Neuinfektionen durch Menschen, die aus besonders betroffenen Regionen im Ausland einreisen.

So verkündete China am Mittwoch zwar zum ersten Mal seit dem Ausbruch des neuartigen Virus im Dezember keine Neuansteckungen mehr im Land, meldete aber gleichzeitig 34 Neuerkrankte, die bereits bei der Einreise nach China infiziert gewesen und mit Symptomen an Flughäfen angekommen waren. Vergangene Woche schien es bereits so, als würde Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping den Kampf gegen das Virus für gewonnen erklären. Seine Reise in das Epizentrum Wuhan war in China als ein Zeichen gedeutet worden, dass die Behörden den Ausbruch unter Kontrolle gebracht betrachten hätten. Der Trend zu importierten Fällen aus dem Ausland macht sich nicht nur in Festlandchina bemerkbar. In Hongkong stieg die Zahl der Neuinfizierten Mitte der Woche um 25, so viel wie noch nie an einem Tag in der chinesischen Sonderverwaltungszone, die durch eine schnelle Reaktion einen großen Ausbruch in der Stadt bisher verhindern konnte.

In Singapur bleiben Familen getrennt. Das erhöht den sozialen Stress

Ähnliches ist in der Nachbarschaft zu beobachten. In Südkorea gab es am Mittwoch 152 neue Fälle, mindestens 30 von ihnen kamen aus dem Ausland. Auch in Singapur kehren nun viele Bürger von anderen Kontinenten zurück, manche waren auf Dienstreise oder Urlaub in Europa. Der Rückstrom macht sich in der Statistik bemerkbar: 47 Fälle verzeichneten die Behörden am Mittwoch in dem Stadtstaat. Auch dort waren es deutlich mehr, als an jedem anderen Tag zuvor. Und auch dort bietet der Befund für den Stadtstaat, der bislang 313 Fälle registrierte und noch keinen Toten durch Covid-19 zu beklagen hat, Anlass zur Sorge.

Staaten wie Singapur, die bisher für ihre Strategie gegen das Virus weltweit Lob bekamen, stehen nun vor einem Dilemma: Einerseits ist man entschlossen, die schnelle und gelungene Eindämmung des Virus seit Ende Januar nicht zu gefährden; andererseits sieht sich die Regierung zu drastischen Einreisebeschränkungen gezwungen, die einer weltoffenen Wirtschaftsmetropole wie Singapur nicht gut tun. Ein milliardenschweres Hilfspaket soll die ökonomischen Folgen für kleinere und mittlere Betriebe abdämpfen.

Keiner der Minister will hier schon entwarnen, denn die schwierigste Phase steht womöglich erst bevor. Alle Einreisenden werden nun pauschal unter Quarantäne zu Hause oder im Hotel gestellt. Selbst jene, die als Ausländer eine Berechtigung haben, in Singapur zu arbeiten, müssen vor ihrer Einreise eine extra Genehmigung einholen, ohne die sie gar nicht einfliegen können. Das betrifft auch Angehörige, was den sozialen Stress erhöht, weil Familien nicht mehr zueinanderfinden und über mehrere Kontinente verteilt bleiben.

Bis vergangenes Wochenende war es noch möglich, ohne zusätzliche Genehmigungen in Singapur zu landen, so flogen etwa reiche Indonesier noch in letzter Minute samt Großfamilie ein, weil sie dem Gesundheitsmanagement in der Heimat misstrauen und sich medizinisch in Singapur besser aufgehoben fühlen. Diesen Zustrom hat Singapur aber nun durch strengere Regeln gestoppt.

Lawrence Wong, Minister für nationale Entwicklung, sagte zu den sogenannten importierten Fällen Mitte der Woche, die überwiegend heimkehrende infizierte Singapurer sind: "Glücklicherweise haben wir sie früh aufgesammelt, manche schon am Flughafen." Die Regierung ist weiterhin wachsam, doch kann sie das grundlegende Problem nicht umschiffen: Sie wird auch künftig weitere Fälle importieren, solange das Virus global nicht eingedämmt ist.

Auch in China, wo das Virus im Dezember zum ersten Mal entdeckt worden war, sind die Sorgen über die neuerlichen Ausbrüche groß. 3245 Menschen sind seit Januar in China an der Lungenkrankheit gestorben. Und auch wenn es Zweifel an den offiziellen Infizierten- und Opferzahlen gibt, deren Zählweise die Regierung in den vergangenen Wochen immer wieder geändert hat: Der Trend dürfte doch die momentane Lage im Land widerspiegeln. Die Schließungen eines Großteils aller Unternehmen, Fabriken, Schulen und Behörden hat die Epidemie vorerst stoppen können. Das Land hat bereits begonnen, international seine Hilfe bei der Bekämpfung des Virus anzubieten. Entsprechend nervös reagiert man nun in Peking auf den neuerlichen Anstieg.

Seit Anfang dieser Woche hat das Land ebenfalls seine Einreisebestimmungen verschärft. Ankömmlinge müssen in China für 14 Tage in ausgewählten Hotels und Unterkünften in Quarantäne. In Peking und in anderen Städten sorgt die Neuregelung seit Tagen für Chaos an den Flughäfen. Tausende drängen sich dort in den Wartehallen, um sich auf Listen zu registrieren und eine Unterkunft zu finden. Teilweise dürfen Reisende nun doch wieder mit einer Genehmigung des jeweiligen Wohnviertels die 14 Tage zuhause absitzen, wenn sie in dieser Zeit die Wohnung nicht verlassen.

Selbst Flüge nach China, die Zehntausende kosten, sind ausgebucht

Ähnlich wie in Singapur sind unter den Reisenden in China viele Geschäftsleute und ihre Familien, die nach Ausbruch der Epidemie das Land verlassen hatten und nun wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Einige sind bereits seit dem Neujahrsfest Ende Januar nicht mehr in China gewesen. Unter den Passagieren sind aber auch immer mehr Menschen aus China oder Personen mit einem familiären Hintergrund in dem Land, das viele nun angesichts der Lage für den sichersten Ort halten, um die Krise zu überdauern. Besonders die gehobenen Flugklassen sind auf dem Weg nach China ausgebucht, selbst wenn die Preise dafür bei Zehntausend Euro und mehr liegen.

Wie im Rest der Region ist der Druck, die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, auch in China hoch - trotz der Risiken. Ende Januar hatte die Regierung einen Großteil der Wirtschaft komplett heruntergefahren, um die Epidemie einzudämmen. Damit steht das Leben in China schon länger still als anderswo.

Die wirtschaftlichen Folgen dieser Maßnahmen werden immer deutlicher. Laut offizieller Angaben haben in den ersten zwei Monaten des Jahres bereits fünf Millionen Menschen ihren Job verloren. Die Arbeitslosenquote kletterte auf 6,2 Prozent, das ist ein Allzeithoch. Schon in normalen Zeiten gibt es Zweifel an den Angaben der Behörden zur Arbeitslosenquote, die sich selbst nach Änderungen an der Zahlweise nie wirklich verändert hat. Das macht den drastischen offiziellen Anstieg umso bemerkenswerter. In Chinas Hauptstadt Peking geben viele Betreiber von Lokalen und Geschäften frei heraus zu, dass sie ihren Mitarbeitern gesagt haben, sie bräuchten nach dem Neujahrsfest nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückzukommen. Es gebe schlicht nicht genug Arbeit, um alle bezahlen zu können. Viele Menschen bleiben immer noch zuhause, vermeiden unnötiges Ausgehen oder Unternehmungen.

Bei einem Treffen der politischen Führungsspitze sagte Präsident Xi Jinping zwar diese Woche, die Rückkehr zum normalen Leben mache große Fortschritte. Doch je mehr Menschen wieder ihrem normalen Alltag nachgehen, umso größer ist auch die Gefahr, dass es zu neuen Ausbrüchen kommt.

© SZ vom 20.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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