Antisemitismus:Steinerne Schmähung

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"Das Relief erinnert daran, dass Luthers Theologie antijüdische Züge trug": Die Stadtkirchengemeinde Wittenberg will es an der Fassade lassen. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Die Stadtkirche Wittenberg, in der Martin Luther predigte, will sich nicht von einem judenfeindlichen Relief trennen. Ein Gericht gab ihr Recht, doch der Fall geht in die Berufung.

Von Ronen Steinke, Berlin

Es geht um Antisemitismus und die evangelische Kirche in diesem Rechtsfall. Es geht um eine Skulptur, die an der Mauer eines berühmten Kirchengebäudes hängt. Diese Skulptur, so hat es jüngst die 2. Zivilkammer des Landgerichts Dessau festgehalten, "stellt ein Schwein dar, an dessen Zitzen Menschenkinder saugen, die durch ihre Spitzhüte als Juden identifiziert werden sollen. Eine ebenfalls durch seinen Hut als Rabbiner zu erkennende Figur hebt mit der Hand den Schwanz der Sau und blickt ihr in den After."

Solche Skulpturen hat es im Mittelalter oft gegeben, sie hingen in vielen Kirchen, wo sie antijüdischen Aberglauben legitimierten. Es gab für das Schweinmotiv sogar einen stehenden Begriff: "Judensau". Aber nirgends in Deutschland findet man eine solche Skulptur noch so gut erhalten, gepflegt und sichtbar wie an der Außenmauer der evangelischen Stadtkirche in Wittenberg. Das ist die Kirche, in der Martin Luther predigte und von der aus die Botschaft der Reformation um die Welt ging.

Diese Kirche hat sich zuletzt gegen Forderungen gewehrt, die Skulptur abzunehmen. Vor Gericht hat sie sich damit durchsetzen können. Die Kirche, so gestand ihr das Landgericht Dessau im Mai zu, habe sich von der beleidigenden Botschaft der "Judensau" bereits ausreichend distanziert. Sie mache sich die alte Hassbotschaft nicht zu eigen, denn sie lasse die Skulptur ja "nicht unkommentiert", heißt es in der Urteilsbegründung (Az. 2O 230/18). Am 21. Januar, so steht nun fest, soll die Berufung verhandelt werden - vor dem Oberlandesgericht in der Domstadt Naumburg.

Die Kirche distanziert sich von dem Werk auf fragwürdige Weise. Daran störte sich das Gericht nicht

Es ist ein Grundsatzfall, der höhere Gerichte beschäftigen könnte. Denn es geht um die Frage, ob eine historische Skulptur noch heute Menschen beleidigen kann. So sieht es der Kläger, ein Mitglied der jüdischen Gemeinde. Die Skulptur mache Juden verächtlich. Die Kirche habe nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch die Pflicht, sie zu beseitigen. Die Skulptur, die in etwa vier Metern Höhe auf dem südöstlichen Flügel des Baus prangt, stammt aus dem 13. Jahrhundert. Im Lutherjahr 1983 hatte sich der damalige Kirchenvorstand entschieden, das verwitterte Werk zu restaurieren. Erst damit war es wieder richtig zum Vorschein gekommen - durch "aktives Tun" der heutigen Kirche, wie das Gericht betont hat.

So krude die alte Symbolik ist: Dass Juden gemeint sind, sei "für Kundige - was entscheidend ist - ohne weiteres zu erkennen", befand das Gericht weiter. Dies gelte auch wegen des Schriftzugs, der 1570 ergänzend in den Sandstein gemeißelt wurde: "Schem Ha Mphoras". Das ist Hebräisch, bedeutet "der besondere Name" und ist eine der vielen im Judentum gängigen Umschreibungen für Gott - hier dargestellt im Zusammenhang mit einer Sau. Die Stadtkirche selbst äußert auf ihrer Webseite, dass es sich um ein "Schmährelief" gegen Juden handele, welches man "lieber nicht auf der Kirchenmauer hätte".

Aber: In dem Rechtsfall geht es auch um die Frage, was die Kirche heute tun muss, um eine solche Beleidigung zu entschärfen. Und da gehen die Meinungen auseinander. Aus Sicht der Kirche genügt, was sie seit 1988 unternommen hat. Damals ließ sie einige Meter unter der Skulptur eine Bodenplatte ein, die Inschrift lautet: "Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in 6 Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen". Damit gab sich das Landgericht zufrieden: Dank dieser Worte liege keine "Kundgabe der eigenen Missachtung" gegen Juden mehr vor. Auf den Text der Platte ging das Gericht nicht ein; auch nicht auf Fragen, die man an ihn haben könnte. Gottes Name "starb"? Er starb "in" Juden? Wie charmant finden Juden solche Sätze?

Der Kontext sei entscheidend, und dieser Kontext sei jedenfalls nicht boshaft, befand das Landgericht. Der jüdische Kläger "mag geltend machen, dass diese 'Gedenkkultur' ihren Namen nicht verdiene", und er möge sie sogar "wiederum als beleidigend empfinden". Aber, kurz gesagt, man könne der Kirche nicht absprechen, dass sie sich bemühe. Auch ihr Ansinnen, die antisemitische Vergangenheit nicht unter den Teppich zu kehren, sei ehrenwert.

In der Kirche bewegen sich die Dinge ein wenig. Irmgard Schwaetzer, Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, empfahl den Wittenbergern zwei Tage nach deren Sieg vor dem Landgericht, die Skulptur freiwillig von der Mauer zu entfernen und in ein Denkmal vor der Kirche zu integrieren. Einfacher drückte sich ein Geistlicher aus: "Eine Beleidigung bleibt eine Beleidigung, ob man sie kommentiert oder nicht", sagte der neue evangelische Landesbischof in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer.

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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