Anschlagsserie auf Bahn:Bundesanwaltschaft ermittelt wegen Brandsätzen an Gleisen

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Erneut entdeckt die Polizei an Gleisen in Berlin und Brandenburg mehrere Brandsätze - einer davon hat bereits vor einiger Zeit gezündet. Die Beamten vermuten noch weitere mit Benzin gefüllte Flaschen an Berliner Bahnstrecken. Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen - es bestehe der Verdacht der "verfassungsfeindlichen Sabotage".

In Berlin sind weitere Brandsätze entdeckt worden. Einer davon wurde laut Polizei vermutlich schon vor einiger Zeit gezündet. Die Überreste wurden am Mittwoch nahe dem Bahnhof Staaken im Westen Berlins gefunden. Dort lag auch noch ein weiterer Brandsatz.

Die Polizei schloss nicht aus, dass es noch weitere bisher nicht entdeckte, mit Benzin gefüllte Flaschen gibt. Verletzt wurde niemand. Ein Polizeisprecher sagte: "Es gab einen Brandsatz, der in irgendeiner Weise irgendwie gezündet hat." Das könnte aber auch schon am Montag oder Dienstag der Fall gewesen sein. Derzeit gebe es keinen Brand, und es sei niemand verletzt worden.

Auch zwischen den Bahnhöfen Schöneberg und Südkreuz lag ein Brandsatz, der am Vormittag von Bundespolizisten gefunden wurde. Die Bahn teilte mit, der Verkehr sei wegen der Polizeieinsätze an beiden Orten unterbrochen. Fern- und Regionalzüge nach Westen und die S-Bahn im Süden werden umgeleitet.

Die Bundesanwaltschaft hat inzwischen die Ermittlungen zu den Brandanschlägen auf Bahnanlagen in Berlin und Brandenburg übernommen. Es bestehe der Verdacht der "verfassungsfeindlichen Sabotage", sagte ein Sprecher der Behörde. Das Bundeskriminalamt sei mit den weiteren Ermittlungen beauftragt. Der Generalbundesanwalt ist auf dem Gebiet des Staatsschutzes die oberste Strafverfolgungsbehörde, er übt das Amt des Staatsanwalts in schwerwiegenden Strafsachen aus, die die innere und äußere Sicherheit in besonderem Maße berühren.

Die Sicherheitsbehörden vermuten die Täter in linksextremistischen Kreisen. Der Berliner Verfassungsschutz geht von einer isolierten Einzelgruppe aus. Die Polizei vermutet, dass alle Brandsätze gleichzeitig deponiert wurden und seitdem nach und nach entdeckt werden. Insgesamt handelt es sich bislang um mindestens 14 Brandsätze, die in Berlin und dem Umland gefunden wurden.

Nach Einschätzung von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) handelt es sich bei den Ereignissen um einen Tatkomplex. Alle Experten gingen davon aus, dass keine weiteren Brandsätze nach dem Bekennerschreiben vom Montag deponiert worden seien, sagte seine Sprecherin Nicola Rothermel auf dapd-Anfrage. Sie würden nun nach und nach gefunden.

Zeitgleich zu den Attacken gegen die Bahn war am Montag ein Bekennerschreiben einer mutmaßlich linksextremen Gruppierung aufgetaucht. In einem im Internet veröffentlichten Bekennerschreiben schreibt die Gruppe, die sich nach dem isländischen Vulkan Hekla benannt hat, mit den Brandanschlägen werde gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan protestiert. In der Erklärung erklären die anonymen Verfasser, man haben "an verschiedenen Kabelschächten der Bahn Feuer mit elektronischen Zeitgebern und Brandbeschleuniger" gelegt. Mit Hilfe der "Sabotagehandlungen an mehreren Kabelschächten" der Bahn habe man Berlin "in den Pausenmodus" gezwungen. Die Mitteilung ist überschrieben als Erklärung "zu den Brandanschlägen auf Bahn und Telekommunikation" - möglicherweise ein Hinweis, dass die Aktionen breitflächiger angelegt waren und nicht nur darauf abzielten, den Bahnverkehr lahmzulegen.

Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) verurteilte die versuchten Brandstiftungen scharf und sprach von "verbrecherischen terroristischen Anschlägen", die in eine neue Dimension hineingingen. Das Bundesinnenministerium sieht hingegen noch keinen neuen Linksterrorismus in Deutschland. Es gebe bislang keine Hinweise darauf, dass aus den linksextremistischen Strukturen bereits linksterroristische Vereinigungen im Sinne des Strafgesetzbuches geworden seien, sagte Ministeriumssprecher Jens Teschke.

Mit den aktuellen Funden gebe es seit Montag mittlerweile sieben Anschlagsorte entlang von Bahnstrecken, fügte er hinzu. Das Ministerium sehe die Anschläge mit großer Sorge. Seit Montag suchen Bahn und Bundespolizei verstärkt alle Gleisanlagen ab. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat eine Verstärkung der Bundespolizei-Streifen auf den Bahnanlagen im Großraum Berlin angeordnet.

Wowereit sieht keinen neuen Linksterrorismus

Es sei ein "furchtbarer Zustand", wenn Menschen durch solche Anschläge gefährdet würden, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Dies müsse bekämpft werden. Der Regierungschef fügte hinzu, die Verantwortlichen würden alles unternehmen, "um die Täter zu fassen". Von einem neuen Linksterrorismus geht er allerdings nicht aus.

Die Verfassungsschützer verzeichneten im vergangenen Jahr einen leichten Anstieg bei gewaltbereiten Linksextremisten: Bundesweit rechnen sie diesem Spektrum etwa 6800 Personen zu, darunter 6200 Autonome, die laut aktuellem Verfassungsschutzbericht Gewalt als Instrument begreifen, die "Wut auf die Verhältnisse" zum Ausdruck zu bringen. Die Berliner Linksextremisten-Szene zählt nach Einschätzung der Verfassungsschützer zu den größten: Etwa 1100 der gewaltbereiten Linksradikalen leben in der Hauptstadt.

Die Organisation im autonomen Spektrum ist diffus, meist agierten Linke in kleinen Gruppen, die untereinander nicht unbedingt vernetzt sind. Das Bekennerschreiben im Internet jedenfalls hat eine kontroverse Debatte im linken Lager ausgelöst, ein Großteil der Kommentatoren lehnt die Aktionen ab und übergießen die anonymen Verfasser zum Teil mit Spott und Häme.

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