Angst vor dem Atomterrorismus:Der Ungewissheit ausgeliefert

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Viele Experten trauen Terroristen zu, eine Atomwaffe zu bauen. Die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe mag gering erscheinen - doch der Schaden wäre verheerend.

Paul-Anton Krüger

US-Vizepräsident Dick Cheney saß im Bunker, als er im Fernsehen verfolgen musste, wie die Zwillingstürme des World Trade Center in New York zusammenstürzten, getroffen von zwei Flugzeugen, die Terroristen gelenkt hatten. "Es hätte noch viel schlimmer kommen können, wenn sie Nuklearwaffen gehabt hätten", soll es ihm angesichts der Schreckensbilder entfahren sein, wie später einer seiner Berater berichtete. Kurz nach den Anschlägen des 11. September 2001 aber erhielt die CIA die alarmierende Nachricht, dass Al-Qaida-Chef Osama bin Laden sich nicht länger damit begnügte, sein Interesse an der Atombombe zu erklären. Er versuchte tatsächlich, der ultimativen Waffe näherzukommen.

Nur Wochen vor den Anschlägen, im August 2001, hatte er in Kabul, damals unter Kontrolle der radikal-islamischen Taliban, die beiden Pakistaner Sultan Baschiruddin Machmud und Chaudiri Abdul Madschid getroffen. Sie waren als Chefs der Umma Tamir-e-Nau aus Islamabad angereist, einer Organisation, die offiziell Entwicklungshilfe für Afghanistan betrieb. Doch Bin Laden interessierte etwas anderes: Die beiden hatten bis Ende der neunziger Jahre in leitender Funktion in Pakistans Atomwaffenprogramm gewirkt, bevor die Regierung sie kaltstellte. Nun diskutierte der Terrorfürst mit den beiden Männern, wie al-Qaida an die Bombe kommen könnte.

"Dieser Typ war unser absoluter Albtraum", sagte ein US-Geheimdienstler der New York Times über Machmud. "Er hatte Zugang zum gesamten Programm. Der wusste, was er macht." Zugleich teilte Machmud die radikalen politischen Ideen der Islamisten. Auf Druck der Amerikaner zog die pakistanische Regierung die Männer im Oktober 2001 aus dem Verkehr, doch spätestens seit diesem Ereignis gilt in weiten Teilen der Welt nuklearer Terrorismus als reale Bedrohung.

Hatte Pakistans Regierung 2001 noch behauptet, "Männer in Höhlen" könnten keine Atomwaffe bauen, sind sich die Experten mittlerweile weitgehend einig, dass "Terroristen eine improvisierte Atomwaffe bauen könnten", sagt David Albright, Chef des unabhängigen Institute for Science and International Security in Washington. Sie wären seiner Meinung nach wohl auf die Unterstützung kundiger Ingenieure oder Wissenschaftler angewiesen. "Aber niemand kann ausschließen, dass es in Iran oder Nordkorea einen Typen wie Abdul Qadir Khan gibt, der bereit ist, für genug Geld auch Terroristen zu helfen", sagt Albright mit Blick auf den Atomschmuggler aus Pakistan, der Baupläne für die Bombe an Libyen und offenbar auch an Iran verkauft hat.

"Ziviles Plutonium ist in der Welt unterwegs"

Schwieriger sei es, an genug hochangereichertes Uran oder Plutonium zu gelangen. Während die militärischen Bestände meist "gut geschützt" seien, "ist ziviles Plutonium in der Welt unterwegs", warnt Albright - zwischen Kernkraftwerken, Wiederaufarbeitungsanlagen, Brennstabfabriken. Mit solchem Material lasse sich eine Bombe mit einigen hundert Tonnen Sprengkraft fabrizieren. Dieses Plutonium so sicher zu machen "wie das Gold in Fort Knox", hält Albright für schwierig. Die Kosten würden enorm steigen, daran habe die Nuklearindustrie kein Interesse.

Attacken auf Atomanlagen in Pakistan haben zudem die Aufmerksamkeit jüngst auf ein anderes Szenario gelenkt: Terroristen könnten gleich versuchen, dem Militär einen kompletten Sprengkopf zu stehlen. Sie könnten sich Zugang verschaffen, indem sie korrupte Offiziere bestechen oder Sympathisanten in der Armee suchen. Dem Militär sei dieses Risiko bewusst, sagt Bruce Riedel von der Brookings Institution, ein früherer CIA-Analyst. Inzwischen habe Pakistan die Waffen besser gesichert und mit Sicherheitscodes ausgerüstet, die verhindern sollen, dass Unbefugte sie zünden.

Umstritten ist, wie wahrscheinlich es ist, dass es Terroristen trotz der Schwierigkeiten beim Bau gelingt, eine Atombombe zu zünden. Harvard-Professor Graham Allison, Autor eines Buchs über Nuklearterrorismus, hält es "für wahrscheinlicher, dass es in den nächsten fünf Jahren auf der Welt zu einem nuklearen oder biologischen Anschlag kommt", als dass dies nicht geschieht. Das aber schließt schmutzige Bomben ein, die strahlende Stoffe durch konventionellen Sprengstoff in der Umwelt verteilen.

"Wahrscheinlichkeit bei weniger als einem Prozent"

David Albright sieht die Wahrscheinlichkeit einer von Terroristen verursachten echten Nuklearexplosion wie in Hiroshima "bei weniger als einem Prozent". Zugleich warnt er, die Folgen würden "derart katastrophal ausfallen, dass die Welt danach nicht mehr die gleiche wäre". Im Vergleich mit einer Atomexplosion in einer Metropole wie New York würde selbst der 11. September verblassen - Zehntausende würden sterben, Hunderttausende verletzt und verstrahlt werden. Für David Albright ist daher klar, dass der Nukleargipfel von US-Präsident Barack Obama nötig ist: "Wenn die Wahrscheinlichkeit, mit einem Flugzeug abzustürzen, nur ein halbes Prozent betrüge - niemand würde mehr fliegen", sagt er.

© SZ vom 13.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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