Machtpolitikerin Merkel:Wie Europa die Kanzlerin sieht

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Ihre Macht macht Angst, ihre Führung weckt Befürchtungen. Angela Merkel dirigiert Europa in der Eurokrise. Was denken die deutschen Nachbarn darüber? Im Porträt der italienischen Zeitung "La Stampa" wird die Bundeskanzlerin als Frau mit steiler Karriere beschrieben: vom "Augenstern" Helmut Kohls bis zur misstrauischen Stimme der Vernunft.

Tonia Mastrobuoni ("La Stampa")

Auf dem Schreibtisch von Angela Merkel steht ein Porträt Katharinas II., die die "Große" genannt wird. Die Zarin war deutscher Herkunft und unterhielt einen Briefwechsel mit Voltaire. Von Zeit zu Zeit nimmt sich auch die deutsche Kanzlerin eine Auszeit von den Wirtschaftsdaten. Dann vertieft sie sich in Ideen, versammelt Schriftsteller und Gelehrte und hört zu. Letzten Sommer fragte sie jemand bei einem dieser Abendessen, wann sie aufhören werde, Opfer von Griechenland zu fordern. "Nicht, solange die Augenringe Papandreous kleiner sind als meine", antwortete sie.

Europa und Deutschland klingt mittlerweile fast wie Euro-Krise und Angela Merkel. (Foto: dapd)

Fünfmal wurde sie vom Magazin Forbes zur einflussreichsten Frau der Welt gekürt. Es war ein steiler Weg, der sie 2005 als erste Frau an die Spitze der deutschen Regierung brachte. Doch sie weiß, dass die Feuerprobe die Euro-Krise ist. An dieser wird der Ex-Augenstern von Helmut Kohl gemessen werden. Vom Schicksal der Einheitswährung wird es auch abhängen, ob Deutschland dem Anspruch genügen kann, europäische Führungsmacht zu sein.

Diese Rolle hat auf dem Rest des Kontinents unvermeidliche Animositäten erzeugt. Das kostspielige Schwanken der Kanzlerin in der Schuldenkrise wurde von der britischen Presse zum Beginn des Dritten Weltkriegs hochstilisiert. Auch der Stabilitätspakt, bestimmt vom deutschen Sparwillen, hat Ängste wach werden lassen, dass Europa sein Wachstumspotential erstickt.

Unterschwellig wird hier um das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft gerungen, das die Angelsachsen geringschätzen, um das Merkel aber kämpft. Es ist ganz an das Schicksal des Euro geknüpft. Wenn die allseits verunglimpften Pigs-Länder, also auch Italien, wegen des Sparkurses im Sand steckenbleiben, muss auch das China Europas bremsen, das zeigt schon die Konjunkturabkühlung, die für das laufende Jahr prognostiziert wird.

Aber es ist noch zu früh zu sagen, ob Merkels Diktat wirklich zu einer Germanisierung Europas führen wird. Italiens Rückkehr an den Tisch der Macht mit den beiden Super-Marios (Monti und Draghi) nach den Jahren der Marginalisierung durch den Berlusconismus gelang jedenfalls nur, weil Deutschland sein Plazet gab.

Merkels grundsätzliches Misstrauen

1990 entdeckte Kohl Merkel, die er später "das Mädchen" nannte. Sie war eine 36-jährige Physikerin, Tochter eines protestantischen Pfarrers, die hinter dem Eisernen Vorhang aufgewachsen war, enorme Röcke trug und einen unwahrscheinlichen Haarschnitt im Stil eines mittelalterlichen Ritters. Der damalige Kanzler katapultierte sie an die Spitze der Macht der Bundespolitik. Dort bewies sie taktische Fähigkeiten. Sie lernte schnell, legte sich mächtig ins Zeug und profitierte davon, dass man sie in der CDU, damals völlig von Männern dominiert, als Frau unterschätzte. So fegte sie sogar ihren Mentor hinweg, indem sie der am Schwarzgeldskandal leidenden Partei im Jahr 2000 nahelegte, den Vater der Wiedervereinigung abzuservieren.

Sie weiß, dass sie ein Land führt, das durch den Euro das einzige Machtinstrument verloren hat, welches es nach 1945 hatte - die Mark. Die Tendenz der Kanzlerin, Vernunft über Visionen zu stellen, ist augenscheinlich. Schwer zu sagen, ob die Unfähigkeit, auch einfachste Schritte im Voraus zu planen, daher rührt, dass sie als Kind von motorischen Problemen in den Beinen geplagt wurde.

Man weiß nur, was sie selbst gesagt hat: dass die Diktatur-Erfahrung in Ostdeutschland sie gelehrt habe, allen zu misstrauen. Joschka Fischer hat sie beschuldigt, Europa deutschen Interessen zu opfern, anstatt es als Ziel zu betrachten, so wie Helmut Kohl es getan hatte und die Generation von Politikern, die auf den Schlachtfeldern groß geworden waren und wussten, dass Europa eine Errungenschaft war und kein Zustand.

Die Ankunft Mario Montis im Palazzo Chigi sprengt die Achse Merkels mit Sarkozy und bringt die europäische Politik in die Bahnen der EU zurück, mit Italien als drittem Mitglied des Direktoriums. Aber selbst Monti hat zugegeben, dass seine Mission nicht zuletzt darin besteht, die Italiener deutscher zu machen.

© SZ vom 26.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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