Angela Merkel:Jetzt bloß kein falscher Ton

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Bevor sie in Urlaub geht, schaut die Kanzlerin mal wieder bei der Bundespressekonferenz vorbei. Nach all den Debatten tritt sie fast provozierend auf. Na ja, provozierend sanft.

Von Stefan Braun, Berlin

"Nein", sagt die Kanzlerin auf die eine große Frage. Dafür habe sie mitten in der schweren Auseinandersetzung keine Zeit und keine Kraft besessen. Deshalb habe sie während des Streits mit Horst Seehofer keinen Gedanken an einen Rücktritt verschwendet. Dabei lächelt Angela Merkel nicht. Sie wirkt nicht angestrengt oder verärgert. Sie redet, als spreche sie über einen Zahnarzttermin, den sie wegen der vielen Arbeit halt verpasst hat.

Nun kommt ein solcher Auftritt bei der Kanzlerin nicht wirklich überraschend. Eine Angela Merkel, die offen über ihr Seelenleben sprechen würde, wäre nach 13 Jahren Kanzlerschaft und knapp drei Jahrzehnten in der Politik die wahre Sensation gewesen. Und doch ist es an diesem Freitagmittag mal wieder über alle Maßen erstaunlich, wie sehr diese Politikerin in der Lage ist, auch in schwersten Zeiten jedem Konflikt die Temperatur zu nehmen.

Nun könnte man das noch ganz gut verstehen, wenn es um die vierte Korrektur der siebten Baurechtserneuerungsverordnung gehen würde. Die Welt aber, die im Innern und die draußen, ist in einem Zustand, die allen vor allem Sorgen bereitet. Ob Donald Trumps Aggressionen gegen Deutschland; ob eine EU, die sich bis heute wenig erfolgreich bemüht, wieder zusammenzufinden, oder auch der mühsam gekittete Streit zwischen der Kanzlerin und der CSU aus Bayern - an vielen Stellen wackelt "der Ordnungsrahmen", um mit Merkels Worten zu sprechen. Nur eine will angesichts dieser Herausforderungen nicht wackeln und nicht weichen, und das ist Angela Merkel.

Woran sie allerdings keinen Zweifel lässt: wie fundamental der Streit mit der CSU war

Stattdessen ist die Kanzlerin offenbar bemüht, vor der Sommerpause ihren Schreibtisch aufzuräumen. In dieser Woche hat sie deshalb einen Pfleger, eine behinderte Frau an ihrem Arbeitsplatz und eine Milchbäuerin besucht - und auf diese Weise Versprechen aus dem Wahlkampf des vergangenen Jahres eingelöst. Beide hatten die Kanzlerin in Fernsehdiskussionen kritisiert und herausgefordert; beiden wollte Merkel jetzt zeigen, dass sie solche Anwürfe ernst nimmt.

Zum Aufräumen gehört für sie aber auch diese Pressekonferenz - und der damit verbundene Versuch, auch an das zu erinnern, was im Streit der zurückliegenden Wochen unterging. Dass die Regierung erneut Programme für Langzeitarbeitslose beschlossen hat; dass sie eine Strategie zur künstlichen Intelligenz entwickelt; dass sie in der Zuwanderungspolitik weitere Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklären möchte - fast zehn Minuten spricht Merkel über das, was das Kabinett beschlossen hat und kaum einer mitbekam.

Dabei merkt man schnell, wie sehr es sie beschäftigt, dass solche Dinge dauernd von Streitereien überlagert werden. Sie räumt offen ein, dass die Regierung selbst schuld sei, wenn diese Beschlüsse nicht wahrgenommen würden. Doch während sie so redet und redet, wächst der Eindruck, dass es genau das ist, was Merkel zurzeit am meisten ärgert: dass diese Regierung sich bislang vor allem selbst im Weg steht.

Entsprechend gibt sie sich am Freitag alle Mühe, kein neues Öl ins Feuer zu gießen. Das gilt in schon provozierend sanfter Weise für Donald Trumps Tiraden, die sie mit sehr zurückhaltenden Botschaften kontert. Und es gilt noch mehr für ihre Antwort auf die gefühlt immer gleiche Frage, ob sie mit Horst Seehofer nach dem Streit noch zusammenarbeiten könne. Keine Spitze, keine Kritik. Stattdessen erklärt die Kanzlerin, dass man einen Kompromiss gefunden habe, der die Handlungsfähigkeit der Regierung sicherstelle. Das sei "erstrangig", wie Merkel es ausdrückt.

Allerdings lässt sie bei aller Freundlichkeit keinen Zweifel daran, dass der Streit mit dem CSU-Chef fundamental gewesen ist und ausgefochten werden musste. Und sie ist eindeutig bei der Aussage, dass sie alles, was ihr wirklich wichtig war, durchgesetzt habe. "Nicht unilateral, nicht einseitig, nicht auf Kosten Dritter" - das sei für sie die entscheidende Botschaft.

Von überragender Bedeutung sei diese Überzeugung für sie nicht nur in der konkreten Frage. Sie gelte grundsätzlich. "Es ist für mich in meinem politischen Handeln zentral, ob wir auch dann zu Europa stehen, wenn es schwierig wird." Es ist der einzige Moment, in dem Merkel besonders ernst klingt. In dieser Haltung, so die Kanzlerin, werde sich zeigen, "ob wir wirklich aus der Geschichte gelernt haben".

Im gleichen Atemzug spricht sie über die Verrohung der Sprache. Dabei verteidigt sie Auseinandersetzungen und Kompromisse und kritisiert zugleich die immer schärfere Tonlage. Im konkreten Streit mit der CSU sei diese "schroff" und "harsch" gewesen, so Merkel. Was bei der Kanzlerin heißt, dass dieser Streit für sie zu schroff und zu harsch abgelaufen ist.

Aus diesem Grund werde sie künftig noch genauer darauf achten, keine falschen Töne zu erzeugen - und hoffe, dass sich auch andere darum bemühen werden. Denn: "Das Denken, Reden und Handeln stehen in einem engen Zusammenhang." Das klingt nach all den garstigen Wochen wie eine Mahnung an alle in der politischen Debatte: Kommt zur Vernunft, reißt euch zusammen, bemüht euch wieder um einen anständigen Umgang.

Und jetzt? Jetzt soll es ein bisschen Ruhe geben. Deshalb antwortet die Kanzlerin auf die Frage, ob sie lieber mit Trump, Putin oder Seehofer in den Urlaub fahren würde, mit einem resoluten: "Urlaub ist Urlaub!" Was wohl heißen soll: Bleibt mir bloß weg mit solchen Gedanken.

Und zum Abschied kommt noch ein Satz, der ehrlich klingt und den jeder kennt, aber den sie sofort wieder einfängt. "Ich will nicht verhehlen, dass ich mich freue, wenn ich jetzt ein paar Tage Urlaub habe und etwas länger schlafen kann", sagt die Kanzlerin - um hinzuzufügen, dass sie sich auf gar keinen Fall beklagen wolle. So ist sie eben. Und wo sie hinfährt, verrät sie übrigens nicht.

© SZ vom 21.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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