Angebliche Putschpläne gegen Erdoğan:Türkischer Ex-Armeechef zu lebenslanger Haft verurteilt

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Die Angeklagten sollen einen Geheimbund gegründet und versucht haben, gegen die Regierung zu putschen. Jetzt sind im umstrittenen Ergenekon-Prozess in der Türkei die ersten Urteile gesprochen worden: Der frühere türkische Generalstabschef Ilker Basbug muss lebenslang ins Gefängnis. Auch andere hochrangige Ex-Militärs erhielten lange Haftstrafen.

Ein Gericht in der Türkei hat langjährige Haftstrafen gegen mutmaßliche Angehörige eines Geheimbundes verhängt, der Putschpläne gegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan verfolgt haben soll.

So ist der frühere türkische Generalstabschef Ilker Basbug zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Auch ein ehemaliger Brigadegeneral muss lebenslang ins Gefängnis, ein früherer Oberst wurde zu 47 Jahren Haftstrafe verurteilt.

Andere ehemalige Militärs erhielten Haftstrafen von bis zu 20 Jahren, wie türkische Medien berichteten. 21 der insgesamt 275 Angeklagten - darunter Militärs, Abgeordnete, Politiker, Journalisten und Akademiker - wurden freigesprochen. Die Urteilsverkündung in dem vor fünf Jahren begonnenen Verfahren dauert noch an.

Das Gericht in Silivri nahe Istanbul tagt seit Montagmorgen und soll insgesamt über mehr als 270 Angeklagte urteilen. Auch weitere ranghohe Militärs sind angeklagt. Für 64 Beschuldigte hat die Anklage lebenslange Haft beantragt. Ihnen wird vorgeworfen, einen Putsch gegen die islamisch-konservative Regierung von Erdoğan geplant und Anschläge verübt zu haben. Der Ergenekon genante Geheimbund soll unter anderem zwölf Spezialeinheiten für die Ausführung von Attentaten zusammengestellt haben.

Poizei setzt Tränengas gegen Demonstranten vor dem Gericht ein

Vor knapp einem Jahr war schon einmal eine Gruppe von mehr als 300 ehemaligen Militärs wegen angeblicher Putsch-Pläne verurteilt worden. Die türkische Armee hat sich in der jüngeren Geschichte des Landes immer wieder als die Hüterin der nationalen Einheit und einer weltlich orientierten Gesellschaft im Sinne des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk verstanden. Erdoğan hat allerdings in den vergangenen Jahren die Macht der Militärs Zug um Zug beschränkt.

"Dieses Verfahren ist ausschließlich politisch motiviert", sagte der Mitangeklagte Mustafa Balbay im Gerichtssaal. "Heute wird über die Regierung gerichtet, nicht über uns." Umstritten ist in der Türkei unter anderem die teils sehr lange Untersuchungshaft für einige der Angeklagten. "Ich bin gekommen, damit diese seit fünf Jahren ohne Beweise hinter Gitter gesperrten Leute nicht alleingelassen werden", sagte ein Demonstrant in Silivri. Eine andere Aktivistin bemühte sich um Differenzierung: "Ich sage nicht, dass alle im Gefängnis unschuldig sind. Aber ich bin überzeugt, dass die meisten von ihnen jahrelang in Haft saßen, obwohl sie nichts getan haben."

Der Prozess in Silivri findet unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in einem eigens gebauten Saal auf einem Gefängnisgelände statt. Türkische Medien berichteten, die Polizei sei in der Umgebung des Gerichts mit Tränengas gegen Demonstranten vorgegangen, die sich dort trotz eines Versammlungsverbots eingefunden hatten. Sicherheitskräfte hätten die Zufahrtsstraßen nach Silivri abgeriegelt. Ein Militärhubschrauber kreise über der Gegend.

Das Großverfahren, das auf einen Waffenfund in Istanbul zurückgeht, läuft seit fast fünf Jahren und ist nicht nur wegen der langen Untersuchungshaft vieler Beschuldigter und der zum Teil undurchsichtigen Beweislage höchst fragwürdig. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) wirft der Regierung vor, den Ergenekon-Fall für eine Abrechnung mit ihren Gegnern zu missbrauchen. Der Name Ergenekon geht auf ein sagenhaftes Tal zurück, in dem die Turkvölker der Legende nach einst Zuflucht fanden.

© dpa/AFP/olkl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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