Angeber-Jargon:Im Fremdwörter-Trommelfeuer

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Komplizierte Begriffe sollen oft Eindruck schinden. Das kann ziemlich nach hinten losgehen.

Von Sebastian Herrmann

Eine Stunde sprach der Mann, ein mitreißender Vortrag, flüssig und mit Leidenschaft dargeboten, Applaus, Applaus. Trotzdem war es nicht selbstverständlich, dass die Zuhörer anschließend ein überwiegend positives Urteil abgaben: Das Referat war schwer verdauliche, ballastwortreiche Kost. "Die Anwendung der mathematischen Spieltheorie in der Ausbildung von Ärzten", lautete der Titel des Vortrages. Referent Dr. Myron L. Fox galt als führender Experte darin, mithilfe mathematischer Verfahren menschliches Verhalten zu beschreiben und zu steuern. Für das Publikum aus Psychiatern, Psychologen und Sozialarbeitern klang das nach einem frischen Zugang zu den Themen, mit denen sie sich ständig befassen mussten.

Was die Zuhörer nicht wussten: Dr. Fox war ein Schauspieler, den Forscher engagiert hatten. Seine Aufgabe bestand darin, eine Stunde lang hochtrabenden, komplizierten Jargon von sich zu geben, ohne ins Stocken zu geraten und ohne preiszugeben, dass der Vortrag inhaltsloser Unfug war.

Der Dr.Fox-Effekt - oder warum Sprache auch jenseits des Inhalts wirkt

Die Darbietung aus den 1970er-Jahren ist als Dr.-Fox-Effekt in den Anekdotenschatz der Psychologie eingegangen. Eine Erkenntnis des Experimentes lautet: Sprache wirkt auch jenseits des Inhalts, sie nimmt Einfluss auf Gefühle und erzeugt allein dadurch ein Urteil. Die Affekte steuern, wie Menschen Informationen bewerten. Dr. Fox nahm seine Zuhörer für sich ein, weil er kompetent wirkte und gut sprach. Das sorgte für die emotionale Grundierung, auf deren Basis er seine komplizierten, sinnfreien Ausführungen laberte. Sein Publikum verstand kein Wort, es gab ja nichts zu verstehen, hatte aber das Gefühl, da erzähle ein intellektueller Typ sehr schlaue Dinge. Lässt sich die Anekdote also als Plädoyer dafür interpretieren, stets in komplexem Jargon zu kommunizieren und mit rhetorischen Nebelkerzen um sich zu feuern? Die Sache ist doch etwas komplizierter und sie kann ganz schön nach hinten losgehen, wie einige, nicht ganz widerspruchsfreie Studien nahelegen. Meistens nämlich erzeugen komplizierte Begriffe vor allem Ablehnung und Frust.

Dr. Fox und sein Vortrag erinnern unweigerlich an das Studium der Geisteswissenschaft an einer deutschen Universität. Die Vorlesungen waren zwar in der Regel wenig mitreißend, aber während man versuchte zuzuhören, blieb wenigstens der Eindruck hängen: Da spricht ein schlauer Mensch über ein geistig forderndes Thema. Worum exakt es geht? Nächste Frage bitte. Bei der Lektüre der Texte hingegen lösten Schachtelsätze und Fremdwörter-Trommelfeuer nichts als Ärger aus. Nach mühsamer Übersetzung entpuppten sich viele Sätze nämlich oft als simpler Wortsalat. Dann aber würzte man selbst tonnenweise Fremdwörter in seine sperrig formulierte, banale Hausarbeit, tat also das, worüber man sich eben noch selbst geärgert hatte.

Der Psychologe Daniel Oppenheimer von der Carnegie Mellon University hat einmal für eine Studie Studenten befragt, ob sie jemals mit Absicht kompliziert formuliert hätten, um einer banalen Aussage mehr gefühltes Gewicht zu verleihen. 86,4 Prozent der Interviewten gaben zu, dass sie sich schon einmal bewusst hinter sperrigem Jargon verschanzt hätten. Zwei Drittel der Befragten sagten sogar, dass sie extra in einem Fremdwörterlexikon nach Begriffen gesucht hätten, um ein einfaches Wort zu ersetzen. Hauptsache, es hört sich irgendwie wichtig an.

Derselbe Psychologe legte jedoch auch eine Studie vor, die nahelegt: Die Strategie der Studenten geht nicht zwingend auf. Daniel Oppenheimer ließ dafür seine Probanden komplexe und einfache Texte miteinander vergleichen, die jedoch den gleichen Inhalt hatten. Schwer verständliche Texte beurteilten die Probanden als weniger glaubwürdig und deren Urheber als weniger intelligent. Der labernde Dr. Fox konnte seine Zuhörer demnach nur blenden, weil er als Figur präsent und überzeugend war. Aber: "Wenn Sie Wert darauf legen, für glaubwürdig und intelligent gehalten zu werden, sollten sie sich nicht kompliziert ausdrücken, wenn man das Gleiche auch in einfachen Worten sagen kann", schreibt der Nobelpreisträger und Verhaltensforscher Daniel Kahneman.

Die Studie von Daniel Oppenheimer ist sicher nicht der letzte, definitive Schluss. Doch es existieren zahlreiche weitere Befunde, die den Glauben an die Überzeugungskraft komplizierter Begriffe wenigstens erschüttern. Der beteiligte psychologische Effekt ist die sogenannte Verarbeitungsflüssigkeit. Grob gesagt, lautet die Faustregel: Was sich geistig leicht verarbeiten lässt, ruft tendenziell positive Gefühle hervor. Diese werden als Signal dafür gedeutet, dass etwas irgendwie gut ist - also zum Beispiel glaubwürdig. In Studien bewerteten Probanden die Geschäftsaussichten fiktiver Unternehmen zum Beispiel dann besser, wenn deren Namen leichter auszusprechen waren.

Sogar das Schriftbild wirkt sich aus: Je besser ein Satz oder ein ganzer Text lesbar ist, desto eher stimmt man ihm zu. Schwer zu entziffernden Texte, etwa weil der Kontrast schlecht ist oder der Druck fehlerhaft, aktivieren hingegen das kritische Denken: Da kriegt man schon beim Lesen schlechte Laune, das kann doch nichts Anständiges sein! Und so betrachtet man das Geschriebene dann kritisch oder gar ablehnend.

Wer wirklich mit anderen kommunizieren will, sollte auf komplizierten Jargon verzichten

Wie alltagsnah und tief gehend diese Wirkung sein kann, hat die Psychologin Simone Dohle von der Universität Köln in einer Studie im Fachblatt Journal of Experimental Psychology: Applied gezeigt. Darin demonstrierte die Forscherin: Der Name eines Medikamentes wirkt sich darauf aus, als wie sanft und nebenwirkungsreich Menschen dieses empfinden. Wortungetüme wie Ribozoxtlitp verknoteten den Probanden der Psychologin die Zunge und weckten den Eindruck, dieses (hypothetische) Medikament löse besonders starke Nebenwirkungen aus. Tatsächlich dosierten die Teilnehmer der Experimente diese Mittel dann auch niedriger als solche, die sich leichter aussprechen ließen und denen Probanden deshalb weniger Nebenwirkungen zutrauten. Der auslösende Effekt war auch hier: die Verarbeitungsflüssigkeit. Lässt sich etwas nur sehr zäh verstehen und weckt deshalb ungute Gefühle, färbt das auf das Urteil über eine Information ab.

Andere Studien, an denen zum Beispiel der Psychologe Rainer Bromme von der Universität Münster beteiligt war, zeigen ähnliche Resultate. Komplexe Formulierungen schaffen demnach Distanz: Die Leser oder Hörer bekommen das Gefühl, der Inhalt beträfe sie persönlich nicht und habe mit ihrem Leben nichts zu tun. Vielleicht erklären sich so die Entfremdungserfahrungen, die einen im Kampf mit Behördenformularen, Versicherungsvorgängen oder juristischen Schriftstücken beschleichen. Da fragt man sich: Auf welchen Planeten leben diese Menschen eigentlich, die solche Formulierungen verwenden - und welche von diesen zwei rätselhaften Optionen im Formular ist die richtige?

Wer also wirklich mit anderen kommunizieren will, wer wirklich den Inhalt seiner Botschaft übermitteln möchte, der sollte auf komplizierten Jargon verzichten. Andernfalls treibt missverstandene linguistische Semikolorie die kognitive Dissoziation von einem Signifikanzsystem im poststrukturalistischen Sinne über die intendierten Maßen voran. Alles klar? Das war jetzt sinnfreier Blödsinn, Dr. Fox lässt grüßen.

© SZ vom 07.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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