Es liegt auf der Hand, dass Unternehmen nicht nur menschliches Mitgefühl mit den Mitarbeitern umtreibt, wenn sie versuchen, den Krankenstand zu senken. Viele Firmen operieren dabei auch mit finanziellen Anreizen. Das kann der Zuschuss fürs Fitnessstudio sein, aber auch eine Prämie nach dem Motto: Wer wenig fehlt, soll dafür belohnt werden. Der Online-Versandhändler Amazon, auch ansonsten für sein rüdes Verhalten bekannt, hat sich für diese Anwesenheitsprämie eine Variante ausgedacht, die perfide ist.
Um die maximale Prämie zu erhalten, reicht es für den einzelnen Mitarbeiter nämlich nicht, wenn er selber keinen Tag fehlt. Auch die Kollegen seines Teams dürfen nicht krank werden. Denn Bestandteil des Systems ist ein sogenannter Gruppenbonus. Wer krank wird, schadet automatisch auch seinen Kollegen, denn er zieht damit den Wert des ganzen Teams nach unten. Auf raffinierte Weise wird die Belegschaft dazu gebracht, selber dafür zu sorgen, dass es möglichst wenig Krankmeldungen gibt - da braucht kein Chef mehr den Buhmann spielen.
Krankheit ist in der Welt von Amazon nicht nur ein persönliches Schicksal, sondern sie wird zu einem sozialen Makel. Wer krank ist, so die Logik, schadet der Gemeinschaft. Dabei zeigen viele Firmen, dass man mit einem Klima der Wertschätzung weit mehr erreicht: höhere Motivation, weniger Krankheitstage und geringere Fluktuation. Aber von so einer Kultur war Amazon immer weit entfernt.