Aktuelles Lexikon:Volkspartei

Die Zeit von Parteien mit Alleinvertretungsanspruch ist passé.

Von Josef Kelnberger

Als Volkspartei gilt eine Partei, die sich darum bemüht, möglichst viele Wählerstimmen zu gewinnen. Das klingt banal, markiert aber einen historischen Wandel. Solche Parteien wenden sich nicht mehr nur an bestimmte Klassen oder Konfessionen wie in der Weimarer Republik die "Massenintegrationsparteien" SPD und Zentrum, sondern an das ganze Volk; der Typus Volkspartei gilt in Deutschland als Antwort auf die damalige Polarisierung. Von "catch-all parties" schrieb der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Otto Kirchheimer in den Sechzigerjahren: von Parteien, die alle fangen wollen. Das klingt nach Beliebigkeit, aber die Volksparteien erheben den Anspruch, das Allgemeinwohl zu fördern, indem sie möglichst viele gesellschaftliche Gruppen integrieren und auf die Führungsrolle zielen, ob in der Regierung oder in der Opposition. Die Stabilität des Systems ergab sich lange Zeit aus dem Gegensatz von Mitte-links- und Mitte-rechts-Volkspartei. In Deutschland fügte sich die SPD mit dem Godesberger Programm 1959 in dieses Muster, CDU und CSU tragen den Anspruch schon in ihrem Namen: "Union". Im Rest Europas zeichnet sich der Niedergang der Volksparteien schon länger ab, in Deutschland markiert die Europawahl 2019 mit dem Vordringen der Grünen auf Rang zwei eine historische Zäsur.

© SZ vom 28.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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