Aktuelles Lexikon:Gedankenpolizei

Sie ist das Gegenteil der Gedankenfreiheit. Aber nicht jeder, der auf sie schimpft, ist Vorreiter der Freiheit.

Von Karin Janker

In literarischen Dystopien wie Philip K. Dicks " Minority Report" oder George Orwells " 1984" gehört die Gedankenpolizei zum Repertoire der Unterdrückungsmechanismen totalitärer Staaten. In ihr verkehrt sich das aufklärerische Ideal, wonach die Gedanken nicht nur frei sind, sondern auch unergründlich: "Wer kann sie erraten?", heißt es im Liedtext Hoffmann von Fallerslebens. Die Gedankenpolizei kann es: Sie vermag nicht nur Gedanken zu lesen; sie ahndet auch "Gedankenverbrechen", sanktioniert also ein Denken, das gegen die herrschende Ordnung verstößt. Dass dieses Potenzial auch Demokratien innewohnt, beschrieb bereits Alexis de Tocqueville. Wer von einer "Gedankenpolizei" spricht, fühlt sich als Opfer einer Tyrannei, die bis ins Innerste des Menschen vordringt, in sein Gehirn. So wundert es weder, dass der Begriff im Kalten Krieg für die sowjetische Geheimpolizei Verwendung fand, noch dass er im Zeitalter der Digitalisierung wiederkehrt. Als Opfer tyrannischer Willkür empfindet sich auch der Sohn Benjamin Netanjahus: Der 27-Jährige hatte in einem Facebook-Post alle Muslime dazu aufgefordert, Israel zu verlassen. Als der Beitrag gelöscht wurde, beschimpfte Jair Netanjahu, Facebook als "Gedankenpolizei". Daraufhin sperrte man sein Konto für 24 Stunden. Schwer zu ergründen waren seine Gedanken indes nicht.

© SZ vom 18.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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