Aktuelles Lexikon:Fetischismus

Robert Habeck hat der Kanzlerin nichts Unlauteres unterstellt.

Von Meredith Haaf

Dass man bei diesem Begriff sofort an Füße, Uniformen oder andere bekannte Spezialvorlieben denkt, liegt nur an Sigmund Freud. Der Wiener Psychoanalyse-Erfinder war es, der das Wort Fetisch in den Diskurs der Sexualität einspeiste. Er bezeichnete damit die Eigenschaft mancher Menschen, in der erotischen Erregungsfähigkeit von bestimmten Objekten oder Körperteilen abhängig zu sein. So entfremdete er allerdings den Fetisch von seiner ursprünglichen Bedeutung: Denn bis ins späte 19. Jahrhundert wurde das Wort vor allem von Völkerkundlern im Zusammenhang mit Religionen verwendet, die unbelebten Objekten eigene spirituelle Kräfte zuschreiben, wie etwa der Voodoo. "Warenfetischismus", wie ihn Karl Marx zu dieser Zeit brillant konzipierte, beschreibt ebenfalls kein sexuelles, sondern ein spirituelles Verhältnis zu den Dingen. Der Grünen-Chef Robert Habeck hat also keine intime Unterstellung vorgetragen, als er in Davos die Bundeskanzlerin aufforderte, sich von ihrem "Fetischismus der schwarzen Null" zu verabschieden und mehr Mittel für Investitionen in Bildung und Energiewende bereitzustellen. Dass ökonomisches Handeln in erster Linie rational und an der Realität orientiert sei, ist eine Idee, die selbst Wirtschaftswissenschaftler mittlerweile in den Bereich des Glaubens einordnen.

© SZ vom 22.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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