Akteneinsicht:Auf die nette Diebestour

Lesezeit: 7 min

Die Erpresser des Drogerie-Unternehmers Anton Schlecker, (v.l.) Dieter H., Wilhelm H. und Herbert J. (r), warten im Landgericht Ulm auf ihr Urteil. Die beiden Hauptangeklagten werden zu dreizehneinhalb Jahren Haft und Dieter H. zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Insgesamt werden den beiden Haupttätern 18 Raubzüge seit 1975 zugeschrieben. (Foto: dpa)

Jahrzehntelang haben zwei Männer bei dreisten Banküberfällen und Erpressungen Millionen kassiert - wenigstens gingen sie immer mit Manieren vor. Von Hans Holzhaider. Reportage aus der SZ vom 11. März 1999

Von Hans Holzhaider

Diese Reportage erschien am 11. März 1999 auf der Seite Drei der Süddeutschen Zeitung. Als "Akteneinsicht" werden in den Feiertagsausgaben der SZ Berichte über große Prozesse der vergangenen Jahrzehnte nachgedruckt, versehen mit einer aktuellen Einordnung. Die Texte wurden in der Rechtschreibung ihrer Entstehungszeit belassen und eventuell leicht gekürzt.

Ulm, 10. März - Wilhelm H. und Herbert J. stehen nun am Ende einer langjährigen, aus ihrer Sicht durchaus erfolgreich zu nennenden Zusammenarbeit. Sie befinden sich in einem Alter, in dem man sich getrost zur Ruhe setzen darf - Wilhelm H. ist 64, Herbert J. 60 Jahre alt. Beide wirken durchaus kregel, sind geistig voll präsent, auch wenn das Gehör etwas zu wünschen übrig läßt. Nach Lage der Dinge aber werden die Herren H. und J. die Früchte ihrer Lebensarbeit nicht genießen können. Das Landgericht Ulm wird sie in wenigen Tagen zu einer Haftstrafe verurteilen, die den beiden rüstigen Sechzigern erst im fortgeschrittenen Rentenalter wieder ein Leben in Freiheit ermöglichen wird.

Wilhelm H. und Herbert J. sind, das darf man auch ohne letzte statistische Sicherheit sagen, die wohl erfolgreichsten Bankräuber in der Geschichte der Bundesrepublik. 23 Jahre lang haben sie das schwäbische Land zwischen Stuttgart und Ulm unsicher gemacht, haben runde 18 Millionen Mark erbeutet, haben 1987 mit der Erpressung des Drogerie-Unternehmers Anton Schlecker um 9,6 Millionen Mark einen der dreistesten Coups der deutschen Kriminalgeschichte gelandet - nichts von dem Geld ist ihnen geblieben. Müde winkt Wilhelm H. ab, als der Vorsitzende Richter Reiner Gros ihn bittet, etwas aus seinem Leben zu erzählen. "Ich habe", sagt der Mann, den man eher für einen Bankdirektor als für einen Bankräuber halten würde, "meine persönliche Karre so in den Dreck gefahren, daß eine Rückschau wenig Sinn macht."

Ein bißchen plaudert er dann doch. Willi H. ist ein höflicher Mann, der sich dem Drängen des Richters nicht schnöde verschließen will. Aufgewachsen ist er bei Schorndorf in der kleinen Gemeinde Schlichten, wo sein Vater damals, in den dreißiger Jahren, Bürgermeister war. 1939, Wilhelm war fünf Jahre alt, ging der Vater in den Krieg und kam erst 1948 aus französischer Gefangenschaft zurück. Irgendwie stand der Junge schon damals auf dem falschen Gleis. Die Volksschulausbildung in Schlichten mußte 1944 aus Kriegsgründen unterbrochen werden; nach dem Krieg schickte man ihn aufs Gymnasium, "dafür hatte ich aber nicht die Voraussetzungen".

Durch permanentes Schwänzen erzwang Willi H. die Entlassung, der Vater steckte ihn als Hilfsarbeiter auf den Bau, auch das schmeckte dem Knaben nicht, er lief davon. Klaute Lebensmittel und eine Matratze, wurde erwischt, zu Jugendarrest verurteilt, brach in ein Landratsamt ein, um sich einen Paß zu verschaffen, wanderte drei Jahre ins Gefängnis, freundete sich dort mit den falschen Leuten an, "das war recht ausschlaggebend für mein Leben".

"Ich war natürlich", räumt Willi H. ein, "nicht sehr kooperativ. Ich fühlte mich überall falsch angefaßt." Er hat dann doch einige Versuche unternommen, ein bürgerliches Leben zu führen, absolvierte eine Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondent, stand kurzzeitig auch in Arbeit bei einem Verlag - es hielt ihn nirgends. "Ich kam nicht zurecht", sagt er, "es war mir alles zu eng". Er hat dann wieder ein Ding gedreht, um zu Geld zu kommen, verbüßte noch einmal fünf Jahre, wurde auf Bewährung entlassen, reiste kreuz und quer durch die Welt, mal ohne, mal mit falschen Papieren, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, beschloß dann Anfang der siebziger Jahre, ganz unterzutauchen. Etwa um diese Zeit lernte Willi H. in Belgien den vier Jahre jüngeren Herbert J. kennen.

Auch Herbert J. kam aus einer vaterlosen Familie, in Düsseldorf unehelich geboren, bei Großeltern und Onkeln aufgewachsen. Er hat den Beruf des Tischlers erlernt und auch mehrere Jahre ausgeübt. Als Mitinhaber einer Exportfirma wurde er dann in Betrügereien verwickelt, hat mehrere Autos gestohlen und in den Nahen Osten verschoben, wofür er zwei Jahre Haft erhielt. Am 7. März 1975 überfiel er mit Willi H. die erste Bank. Es war die Kreissparkasse in Ebersbach, und die beiden hatten nicht einmal daran gedacht, ein Behältnis für das Geld mitzunehmen - J. wollte sich fast 200 000 Mark in die Manteltaschen stopfen, es fiel alles daneben, man griff zu einem zufällig vorhandenen Eimer, um die Beute abzutransportieren. Sonst lief alles wie am Schnürchen, binnen drei Jahren suchten die beiden zehn Banken im Umkreis von kaum hundert Kilometern heim, immer nach demselben Schema: ein oder zwei Autos geklaut, falsche Nummernschilder angeschraubt, rein in die Bank mit zwei Pistolen, das Geld eingepackt, meistens so um die 100 000 bis 200 000 Mark, danach zweimal das Auto gewechselt, fertig. Am 15. Juni 1978 überfallen sie einen Geldtransport der Kreissparkasse Schwäbisch Gmünd, es dauert keine 30 Sekunden, und 1,3 Millionen sind im Sack.

Man gönnt sich eine Pause von zweieinhalb Jahren, dann geht es weiter wie gehabt. Überfall auf das Postamt in Welzheim, auf eine Schmuckhändlerin in Pforzheim (die Smaragde und Rubine erwiesen sich, sagt J., als "Ramsch"), auf die Sparkasse in Leonberg und auf einen Geldtransport in Ludwigsburg. Nirgends das erhoffte ganz große Geld. Im März 1982 verlegen sich H. und J. auf eine neue Taktik, von der sie sich mehr versprechen: Geiselnahme und Erpressung. Ihr erstes Opfer ist Martin S., der Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse Göppingen.

An einem Sonntagabend klingelt H., als Polizist verkleidet, an der Haustür des Bankmanagers. Martin S. öffnet arglos, die beiden Männer dringen in das Haus ein und konfrontieren den zu Tode erschrockenen Mann mit ihrer Forderung: Fünf Millionen Mark. Im Haus befindet sich noch die 18jährige Tochter. Gegen vier Uhr morgens bringt J. das Mädchen, mit warmer Kleidung und Schlafsack versehen, in ein verlassenes Wochenendhaus, wo sie von einem dritten Mann bewacht wird. Am Morgen fahren die beiden Räuber mit Martin S. in dessen Büro. 700 000 Mark Tagesgeld ist im Tresor, bei weitem zu wenig. Man hat sich in der Nacht in langen Verhandlungen auf 2,7 Millionen geeinigt. Der Hauptkassier wird gerufen, dann der Prokurist, er muß einen Scheck über zwei Millionen Mark unterschreiben, zwei Boten werden zur Landeszentralbank geschickt. Die Flucht mit dem Geld verläuft reibungslos, das Mädchen bleibt in der Hütte zurück und kann sich selbst befreien. Sie hat das Geschehen bis heute nicht völlig überwunden.

Fünf Jahre später ist das Geld verbraucht. Im Stern hat Herbert J. eine Reportage über Anton Schlecker gelesen, den Chef der größten deutschen Drogeriekette. Schlecker residiert in seinem Heimatort Ehingen, also im Operationsgebiet der Gangster. Man recherchiert, aber es passiert ein dummer Fehler. Statt des Unternehmerhauses spähen H. und J. die Wohnung der Eltern des Drogeriekönigs aus. Als sie, wieder in Polizei-Uniformen und mit einer Maschinenpistole bewaffnet, an der Tür läuten, öffnet der betagte Herr Schlecker senior. Man ist verblüfft, grüßt höflich, entschuldigt sich und sucht das Weite. Niemand schöpft Verdacht.

Zur Überbrückung der momentanen pekuniären Verlegenheit wird ein Bankkassier in Schorndorf überfallen. Dann, sechs Monate später, der zweite Versuch in Sachen Schlecker, diesmal besser vorbereitet. H., J. und der dritte Mann dringen in das leere Haus ein, die Alarmanlage ist ausgeschaltet. Kurz vor Mitternacht kommt das Ehepaar mit den 14 und 16 Jahre alten Kindern Meike und Lars nach Hause. Frau Schlecker, die im Badezimmer überrascht wird, geht auf den dritten Mann los und bekommt einen Schlag auf den Kopf, eine kleine Platzwunde, es ist das einzige Blut, das je geflossen ist bei einer Aktion von H. und J.. Anton Schlecker bleibt kühl und gelassen, auch als die Kinder im Morgengrauen in eine abgelegene Waldhütte gebracht werden. Lars stolpert auf der Holztreppe, J. faßt ihn am Arm und sagt: "Paß auf, Junge! Ich hab' deiner Mutter versprochen, daß du sicher wieder heimkommst." Vater Schlecker verhandelt unterdessen mit dem maskierten H.. 18 Millionen Mark sind gefordert, am Morgen hat man sich auf 9,6 Millionen geeinigt. Der Prokurist F. wird ins Haus bestellt, er holt das Geld, die Räuber fahren ab, die Kinder kommen unversehrt frei.

Freundlicherweise, aus Sicht von H. und J., teilt die Bild-Zeitung wenig später mit, daß ein Teil des Geldes registriert ist. J. kennt einen Bankdirektor in Wien, der ist so nett und besorgt eine Liste des Bundeskriminalamts mit den registrierten Geldscheinen. Es sind rund drei Millionen Mark. In einem Pariser Wechselbüro werden 3000 Tausender problemlos umgetauscht - "die wollten", berichtet J., "keine Namen, keine Ausweise, nur das Geld. Mit einem Koffer voll Geld sind wir rein, mit einem Sack voll Geld wieder raus."

Und was fängt man an mit so viel Geld? "Was man so ,In Saus und Braus leben' nennt", sagt Willi H., "das war nicht der Fall. Ich bin kein einziges Mal im Flugzeug Erster Klasse geflogen." Immerhin, er hat sich ein schönes Anwesen in Südkalifornien gekauft, mit Pool und Tennisplatz, und eine Segeljacht. "Ihr Hobby?" fragt Richter Gros. "Mehr als das. Eine Weltanschauung." Aber das Haus ist weg, die Jacht ist weg. Unglücklich an der Börse spekuliert, der Nikkei-Index ging in die Brüche. Einmal ist er auch einer betrügerischen Firma aufgesessen, das hat ihn 800 000 Dollar gekostet. J. erging es nicht besser.

Ringkampf mit einer Dame Letzten Juli, fast elf Jahre nach der Schlecker-Erpressung, waren sie wieder einmal so klamm, daß etwas geschehen mußte. Es trifft ausgerechnet den Volksbankdirektor R. in Ehingen, der damals schon den Schlecker-Scheck abzeichnen mußte. Mitten in der Nacht stehen H. und J., maskiert und schwer bewaffnet, im Schlafzimmer des Ehepaares, kein Spaß für die älteren Herrschaften. Man ist, wie immer, höflich, aber unnachgiebig. Den ganzen Tag über bleiben die Räuber in der Wohnung der R.s, "es war ein ziemlich langer Tag", sagt H.. Das Ehepaar ängstigt sich sehr. Als einer der Räuber nach dem Staubsauger verlangt, um mögliche Haarspuren vom Teppich zu tilgen, steht Direktor R. Todesängste aus, weil er argwöhnt, der Schlauch solle dazu verwendet werden, ihn in seinem Auto mit Abgasen ums Leben zu bringen. Am Abend endlich fährt man gemeinsam in die Bank, der Prokurist holt 1,9 Millionen Mark aus dem Tresor, wird als Geisel mitgenommen und an einen Jägerhochsitz im Wald gefesselt zurückgelassen.

Es war der letzte Streich der beiden. Sie begingen keinen groben Fehler; eine kleine Unvorsichtigkeit beim Telephonieren wurde ihnen zum Verhängnis. J. legte ziemlich schnell eine Generalbeichte ab, einschließlich der Überfälle, die mehr als 20 Jahre zurückliegen und verjährt sind. Er nannte auch den dritten Mann, der zweimal die Geiseln bewacht hatte: Dieter H., Willis jüngerer Bruder, der als wohlhabender, unbescholtener Mann in seinem Heimatdorf Schlichten lebte. Dieter H. beteuert, er habe sein Geld mit Börsengeschäften verdient und bestreitet vehement jede Tatbeteiligung - die Chancen, daß das Gericht ihm glaubt, sind gering.

Nun werden Wilhelm H. und Herbert J. ihren nächsten Lebensabschnitt in der Justizvollzugsanstalt in Singen zubringen müssen, dem sogenannten Seniorenknast, reserviert für Straftäter im Alter von 50 Jahren und darüber. 15 Jahre Höchststrafe stehen zur Debatte, sehr viel weniger kann das Gericht kaum verhängen, auch wenn es einige mildernde Umstände gibt. Denn H. und J. waren, so seltsam es klingt, jeder Gewalt abhold. Das zeigt der versuchte Überfall auf ein älteres Unternehmer-Ehepaar in Furtwangen im Dezember 1986. Die Überfallenen wollten sich nicht in ihr Schicksal fügen. "Es kam zu einem Ringkampf", schildert J., "ich mit dem Hausherrn, Herr H. mit der Dame des Hauses. Es ging zu unseren Ungunsten aus." - "Wie das", fragt der Richter verwundert, "Sie waren doch bewaffnet?" - "Ganz recht, Herr Vorsitzender", erwidert J.. "Sie mögen daraus ersehen, daß wir niemals bis zum Letzten gehen wollten."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: