Afrika:So fangen Kriege an

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Ort mit Symbolkraft: Seit 14 Jahren hält Äthiopien völkerrechtswidrig die eritreische Stadt Badme besetzt. (Foto: Stringer/AFP)

Eritrea und Äthiopien liefern sich wieder so heftige Grenzgefechte wie lange nicht mehr. Das weckt böse Erinnerungen in beiden Ländern.

Von Tobias Zick, Kapstadt

Es ist ein leise schwelender Konflikt, dem die internationale Diplomatie zuletzt wenig Beachtung gewidmet hat; andere Krisen in der Region, der islamistische Terror in Somalia etwa, erschienen dringender. Dabei ist es ein Konflikt, dessen Auswirkungen auch in Europa ankommen - in Gestalt junger Männer in Flüchtlingsbooten, sofern sie nicht auf dem Weg ertrunken oder schon vorher auf dem Marsch durch die Wüste verdurstet sind. Und in diesen Tagen droht der Grenzstreit zwischen Eritrea und Äthiopien abermals zu eskalieren. Die eritreische Regierung jedenfalls hat jetzt einen Hilferuf an die Vereinten Nationen gerichtet: Der mächtige Nachbar im Süden bereite momentan eine "größere Militäroffensive" vor und erwäge offenbar einen "regelrechten Krieg".

Dass die äthiopische Seite einem solchen Szenario nicht völlig abgeneigt ist, hatte die Regierung in Addis Abeba vorige Woche durchblicken lassen, in einer Warnung an Eritreas Präsident Isaias Afewerki: "Wir hoffen, dass er nicht den Fehler wiederholt, uns in einen offenen Krieg zu verwickeln", stand da. Anlass waren Gefechte an der gemeinsamen Grenze, die vorletzten Sonntag ausbrachen. Was genau nahe der Kleinstadt Tserona passierte, ist im Detail schwer zu ermitteln, aber offenbar kamen Panzer und schwere Artillerie zum Einsatz. Beide Seiten beschuldigten sich dann gegenseitig, angefangen zu haben. Eritrea behauptete, man habe mehr als 200 äthiopische Soldaten getötet und mehr als 300 verletzt - nach "konservative Schätzungen". Ein äthiopischer Regierungssprecher bestätigte, dass es zu Gefechten gekommen sei; man habe "angemessen" auf "Provokationen" reagiert. Auf beiden Seiten seien viele Kämpfer gestorben, auf eritreischer Seite allerdings mehr.

Auch wenn die "Details nebulös und umstritten" sind, wie das Konfliktforschungsinstitut International Crisis Group (ICG) schreibt, handle es sich um die "schwersten konventionellen Gefechte seit Langem". Mindestens acht "nennenswerte Ausbrüche" von Gewalt habe es in den vergangenen fünf Jahren gegeben, oft unter Beteiligung von Rebellen, die von der jeweiligen Gegenseite unterstützt werden.

Die Sorge, dass die jüngsten Gefechte eine größere Katastrophe auslösen könnten, gründet sich auf Erfahrungen: Auch der letzte offene Krieg zwischen den beiden Ländern, die sich erst 1993 nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg voneinander getrennt hatten, wurde im Mai 1998 von lokal begrenzten Scharmützeln ausgelöst. Er dauerte zwei Jahre, mindestens 70 000 Menschen starben. Eine Kommission, gestützt von den UN und der Afrikanischen Union, legte 2002 den Grenzverlauf zwischen beiden Ländern im Detail fest - und schlug die Kleinstadt Badme, wo der Krieg begonnen hatte, Eritrea zu. Bis heute aber weigert sich Äthiopien, seine Truppen aus Badme abzuziehen, obwohl die Kleinstadt strategisch als wenig bedeutend gilt. Allerdings fürchtet die Regierung offenbar einen Gesichtsverlust, wenn sie aus dem symbolträchtigen Ort abzieht: Soll all das äthiopische Blut im Kampf um Badme umsonst vergossen worden sein?

So verstößt Äthiopien seit 14 Jahren kontinuierlich gegen das Völkerrecht, hört dafür jedoch aus dem Ausland kaum Kritik. Weder von der Afrikanischen Union, deren Zentrale es in der Hauptstadt Addis Abeba beherbergt, noch vom Westen, dessen wichtigster Verbündeter es in der Region ist - vor allem im Kampf gegen islamistische Terrorgruppen in Somalia.

Das kleinere Eritrea dagegen sieht sich, nicht zuletzt wegen dieser Ungleichbehandlung in der internationalen Diplomatie, von Feinden umzingelt. Den schwelenden Grenzkonflikt nimmt das Regime zum Anlass, die Gesellschaft ständig im Zustand der Militarisierung zu halten. Jeder volljährige Eritreer, Mann oder Frau, muss einen zeitlich unbegrenzten "nationalen Dienst" leisten; in der Armee oder in einem zivilen Sektor. Diese Zwangsarbeit gilt als eine der wichtigsten Ursachen dafür, dass jeden Monat mehr als 3000 Menschen aus Eritrea fliehen. Ein UN-Bericht, vor zwei Wochen veröffentlicht, wirft dem Regime systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor und empfiehlt, "die Lage in Eritrea dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs zur Prüfung vorzulegen."

Aber auch der äthiopischen Regierung werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen: Einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge haben Sicherheitskräfte seit November mehr als 400 Menschen in der Region Oromia getötet - bei Protesten gegen Regierungspläne, die Hauptstadt Addis Abeba auszuweiten und dafür Bauern zu enteignen. Zudem kämpft das Land mit den Folgen der schwersten Dürre seit Jahrzehnten. Kritischen Beobachtern zufolge bietet der Grenzkonflikt beiden Regierungen nicht zuletzt die Chance, von anderen Problemen abzulenken. Eine altbekannte Logik - und für beide Seiten höchst ruinös.

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© SZ vom 23.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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