Afghanistan - Karsais Sicherheitsberater im Gespräch:"Wir sind Opfer einer ausländischen Invasion"

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Verbale Offensive gegen Pakistan: Der Sicherheitsberater der afghanischen Regierung beschuldigt das Nachbarland, die Verhandlungen mit den Taliban systematisch zu untergraben - und für Tausende Tote in Afghanistan verantwortlich zu sein. Im SZ-Gespräch erklärt Spanta, warum es nicht gelingen wird, den Terrorismus zu besiegen, und wie er gegen Pakistan vorgehen will.

Tobias Matern

Rangin Dadfar Spanta ist Sicherheitsberater der Regierung in Kabul; davor war er afghanischer Außenminister. Spanta, der lange in Deutschland gelebt hat, erläutert im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung die jüngsten Einlassungen seines Präsidenten Hamid Karsai. Dieser hat am Wochenende angekündigt, die Verhandlungen mit den Taliban würden auf Eis gelegt; Afghanistan werde seine Friedensstrategie überdenken. Spanta begründet nun, warum die Bevölkerung zehn Jahre nach dem Einmarsch des Westens enttäuscht ist - und warum mit den Taliban vorerst kein Frieden zu erzielen sei.

Präsentation fürs afghanische Volk: Drei Aufständische werden samt Waffen vorgeführt - sie waren in der Ghazni-Provinz gefangen genommen worden. (Foto: Reuters)

SZ:Vor zehn Jahren stürzte der Westen das Taliban-Regime in Ihrem Land. Stabile Verhältnisse gibt es bis heute allerdings nicht. Warum ist das so?

Spanta:Ich bin optimistisch - trotz aller Schwierigkeiten, die wir insbesondere in den vergangenen Tagen und Wochen hatten. Terroristische Aktivitäten und Angriffe in der Hauptstadt Kabul haben zugenommen, anderseits haben sie in den Provinzen nachgelassen. Vor eineinhalb Jahren konnten die Terroristen in Provinzen wie Kandahar, Helmand und Urusgan noch brutale Attentate ausführen. Im Moment sind sie nicht in der Lage, solche Angriffe zu organisieren.

SZ: Ihr Optimismus verfängt bei den Afghanen nicht; das Gefühl der Menschen ist vielmehr: Wenn die Taliban wie jüngst mit sechs Kämpfern im Zentrum Kabuls zuschlagen können - wer soll uns dann erst schützen, wenn nicht sechs, sondern hundert Mann angreifen?

Spanta: Ich verstehe diesen Pessimismus insbesondere bei der städtischen Bevölkerung. Und ich will die Lage nicht schönreden. Aber es gibt keine apokalyptische Stimmung in Afghanistan. Wir können gegenhalten, wir können uns verteidigen und werden unseren Plan, die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an afghanische Kräfte bis zum Jahr 2014 zu verwirklichen, nicht ändern.

SZ: Sie glauben, dass sich dieser Plan durchhalten lässt? Die Sicherheitskräfte wurden bereits mehrfach von den Taliban unterwandert; viele Anschläge wären ohne Insiderwissen nicht möglich gewesen.

Spanta: Es gibt genau zwei Fälle, in denen wir von einer Unterwanderung sprechen können. Es gibt eben keine absoluten Garantien gegen Angriffe - oder auch dagegen, dass die Sicherheitskräfte unterwandert werden. Aber dabei handelt es sich um Ausnahmen und nicht um die Regel. Wir sind fest entschlossen, die Kontrolle über die Sicherheitslage in Afghanistan zu übernehmen - vorausgesetzt natürlich, dass die internationale Gemeinschaft ihre Versprechungen erfüllt.

SZ : Worin liegt aus Ihrer Sicht die Stärke der Aufständischen?

Spanta: Es wird nicht gelingen, den Terrorismus zu besiegen, wenn man die Verstecke, Rekrutierungsmöglichkeiten und Trainingslager der Terroristen in Pakistan nicht beseitigt. Die westliche Welt hat bedauerlicherweise das pakistanische Militär und den Geheimdienst finanziert, anstatt sie unter Druck zu setzen und von ihnen eine Kooperation mit Afghanistan im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu verlangen. Pakistans Haltung hat Tausende in der afghanischen Zivilbevölkerung sowie Soldaten der internationalen Gemeinschaft das Leben gekostet. Wäre diese Tatsache schon vor einigen Jahren zur Kenntnis genommen worden, hätten wir eine viel bessere Situation.

SZ : Glauben Sie, dass das Haqqani-Terrornetzwerk, dem zahlreiche spektakuläre Anschläge vorgeworfen werden, in der Hand des pakistanischen Geheimdienstes ISI ist?

Spanta: Wir haben immer gesagt, dass das Haqqani-Netzwerk ein integraler Bestandteil des pakistanischen Geheimdienstes ISI ist; es ist keine separate Organisation, sondern ein Teil des ISI. Und wir haben der internationalen Gemeinschaft über die Jahre zahlreiche Beweise dazu vorgelegt, wir haben mit Pakistan darüber diskutiert und es gewarnt. Bedauerlicherweise hat sich die Weltgemeinschaft auf falsche Versprechungen von pakistanischer Seite verlassen. Auch die Quetta Shura (der nach der pakistanischen Stadt Quetta benannte Führungsrat der afghanischen Taliban, die Red.) wäre ohne operative Unterstützung, ohne Know-how, ohne Finanzierung und Ausbildung von Seiten des ISI nichts wert. Das heißt mit anderen Worten: Wir Afghanen glauben, dass wir mit einer ausländischen Invasion konfrontiert sind. Und die wird von unserem Nachbarland Pakistan organisiert.

SZ: Was bedeutet das für Verhandlungen mit den Taliban, die Ihre Regierung doch eigentlich führen will? Sollten Sie nicht lieber versuchen, direkte Gespräche mit dem ISI zu führen?

Der frühere afghanische Außenminiser Rangin Dadfar Spanta: "Wir werden unser Territorium gegen einsickernde Terroristen verteidigen." (Foto: REUTERS)

Spanta: Die richtige Vorgehensweise bei Verhandlungen wäre nach so vielen Misserfolgen und Rückschlägen tatsächlich, mit dem ISI zu reden. Wir halten am Friedensprozess fest, aber wir werden unsere Herangehensweise radikal ändern.

SZ: Was meinen Sie damit? Schließlich ist die Lage doch noch komplizierter geworden, seit der von Ihrer Regierung eingesetzte Chef-Verhandler, der Gespräche mit den Taliban auf den Weg bringen sollte, von einem angeblich gesprächsbereiten Islamisten ermordet worden ist.

Spanta: Stimmt, es gibt keine Vertrauensgrundlage mehr. Die Basis dafür wurde von den Terroristen zerstört. Es gibt keinen konkreten Weg. Wir dürfen uns keine Illusionen darüber machen: Wir wissen nicht, mit wem zu verhandeln ist, weil der Gegner nicht klar ist. Diejenigen, die etwas zu sagen haben, sitzen beim pakistanischen Militär. Aber: Frieden ist ein legitimer Wunsch, ein legitimer Traum für Afghanistan. Den dürfen wir haben, und wir arbeiten daran, Pakistan in Richtung Friedensgespräche bewegen zu können.

SZ: 2014 zieht der Westen ab, die Zeit wird knapp.

Spanta: Afghanistan hat eine 5000 Jahre alte Geschichte. Das afghanische Volk hat immer sein Land verteidigt, wir verfallen nicht in Panik. Ja, wir haben unsere eigenen Fehler gemacht - wir haben die Korruption nicht richtig bekämpft und die Rechtstaatlichkeit nicht realisiert, aber auch die internationale Gemeinschaft hat die Ursachen des Terrorismus nicht bekämpft. Wenn sie das Land im Jahr 2014 verlässt, wird es unsere Aufgabe sein, das Land zu verteidigen. Und das werden wir auch tun.

SZ: Im Dezember wird die internationale Gemeinschaft in Bonn mit Ihrer Regierung über die Zukunft sprechen. Werden auch die Taliban kommen?

Spanta: Nein, Bonn ist keine Friedenskonferenz. Bonn ist eine Konferenz, auf der wir hauptsächlich über die Zusammenarbeit zwischen Afghanistan und der internationalen Gemeinschaft sprechen werden, und darüber, wie sie nach dem Jahr 2014 aussehen soll. Wir sind bedauerlicherweise weit davon entfernt, dass sich bei einer Konferenz die afghanische Regierung und die Taliban zusammensetzen. Entweder erlauben der pakistanische Geheimdienst ISI und Pakistans Militär ihren Vasallen, mit uns Friedensverhandlungen zu führen und das afghanische Grundgesetz zu akzeptieren. Oder wir werden sie bekämpfen, weil wir keine andere Möglichkeit haben.

SZ: Ist das eine Drohung in Richtung Pakistan?

Spanta: Wir werden keinen Krieg gegen Pakistan führen, aber wir werden unser Territorium gegen einsickernde Terroristen verteidigen.

© SZ vom 05.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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