Afghanistan:Taliban nehmen erste Provinzhauptstadt ein

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Ein Mörsergranatenloch ist in einem Schiffscontainer nach einem Luftangriff gegen die Taliban in der Stadt Laschkar Gah südlich von Kabul zu sehen. (Foto: Abdul khaliq/AP)

Bislang hatten die Islamisten in ländlichen Regionen Gewinne verbucht, nicht aber in größeren Städten. Die örtliche Polizei macht das Versagen der Zentralregierung für die Entwicklung verantwortlich.

In Afghanistan haben die Taliban nach offiziellen Angaben bei ihrer jüngsten Offensive erstmals eine Provinzhauptstadt erobert. Die Stadt Sarandsch in Nimros im Süden des Landes sei von den radikalen Islamisten eingenommen werden, teilte die Provinzpolizei mit. Deren Sprecher machte das Ausbleiben von Verstärkungen durch die Zentralregierung in Kabul für die Niederlage verantwortlich.

Die Taliban haben in den vergangenen Monaten nach dem Abzug der internationalen Truppen Dutzende Bezirke und Grenzübergänge unter ihre Kontrolle gebracht. Bislang handelte sich dabei aber um Gebiete in den ländlichen Regionen des Landes. Die Bundeswehr ist bereits vollständig aus Afghanistan abgezogen. Die USA planen, sich bis Ende August komplett aus dem Land zurückgezogen zu haben.

Am Freitag töteten die Taliban den Chefsprecher der prowestlichen Regierung. Dawa Khan Menapal leitete seit 2020 das Presse- und Informationszentrum der Regierung, zuvor war er stellvertretender Sprecher im Präsidialamt. Menapal wurde den Angaben zufolge nahe der russischen Botschaft im Westen der Stadt in seinem Auto erschossen, als er auf den Rückweg vom Freitagsgebet in einer Moschee war.

Die Tötung Menapals ist die jüngste in einer Reihe anderer, die darauf abzielen, Ghanis demokratisch gewählte, vom Westen unterstützte Regierung zu schwächen. Zu den Opfern zählen Aktivisten, Journalisten, Beamte, Richter und bekannte Personen, die sich für einen liberalen islamischen Staat einsetzten. Am Dienstag hatten die Taliban einen Anschlag auf das Haus des amtierenden Verteidigungsministers in Kabul verübt, bei dem mindestens acht Menschen getötet wurden.

UN und EU fordern Ende der Gewalt

Die Vereinten Nationen warnten vor einem dramatischen Anstieg der zivilen Opfer in Afghanistan und forderten ein Ende der Gewalt. Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und den Taliban in der katarischen Hauptstadt Doha verliefen bislang ohne Erfolg.

Auch die EU hat die Konfliktparteien zu einer sofortigen und umfassenden Waffenruhe aufgefordert. Die jüngste Eskalation der Gewalt durch die verstärkten Angriffe der Taliban verursache enormes Leid für die afghanische Bevölkerung und erhöhe die Zahl der Binnenflüchtlinge, kritisierten der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und EU-Kommissar Janez Lenarčič in einer gemeinsamen Erklärung. Die militärische Offensive der Taliban stehe in direktem Widerspruch zu ihrem Bekenntnis zu einer Verhandlungslösung des Konflikts und zum Doha-Friedensprozess.

Zudem drohten die EU-Vertreter den Verantwortlichen für das willkürliche Töten von Zivilisten, das öffentliche Auspeitschen von Frauen oder die Zerstörung von Infrastruktur internationale Verfolgung an. Einige dieser Taten könnten Kriegsverbrechen darstellen und müssten aufgeklärt werden, erklärten Borrell und Lenarčič. Die verantwortlichen Befehlshaber oder Taliban-Kämpfer müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

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