Afghanistan:Der Tod der Ortskräfte

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Schutzbedürftige betreten im Juli 2021 nach der Ankunft aus Kabul sicheren Boden in Usbekistan, um nach Deutschland weiterzufliegen. Noch immer warten in Afghanistan ehemalige deutsche Ortskräfte darauf, außer Landes zu können. (Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa)

Mehr als 30 Einheimische, die früher für die Bundeswehr oder andere deutsche Institutionen arbeiteten und auf die Ausreise warteten, sind nicht mehr am Leben.

Die Bundesregierung hat eingeräumt, dass Dutzende ehemaliger Ortskräfte und anderer gefährdeter Menschen, die noch aus Afghanistan heraus in Sicherheit gebracht werden sollten, inzwischen ums Leben gekommen sind. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Clara Bünger hervor.

Wie zuerst der Spiegel berichtet hat, führt die Bundesregierung in ihrer Antwort die Ursachen für den Tod der Afghaninnen und Afghanen detailliert auf. 15 Menschen sind demzufolge eines natürlichen Todes oder bei einem Unfall gestorben. Neun seien gewaltsam getötet worden: Eine Ortskraft sei bei einem IS-Anschlag auf eine Moschee gestorben, ein Familienmitglied einer besonders gefährdeten Person bei einem Anschlag vor einer Passbehörde. Ein Verwandter einer Ortskraft sei umgebracht worden, weil er einst den afghanischen Streitkräften angehört habe. Bei sieben Personen sei die Todesursache unklar, eine Ortskraft habe Suizid begangen.

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Allerdings gebe es, so die Bundesregierung bei keiner der Personen einen Hinweis darauf, dass sie wegen ihrer Tätigkeit für das deutsche Einsatzkontingent getötet wurden. In anderen Fällen sei die Todesursache unklar, hieß es. Insgesamt habe die Bundesregierung in den vergangenen 15 Monaten mehr als 36 000 Aufnahmen für ehemalige afghanische Ortskräfte und weitere besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen jeweils einschließlich ihrer berechtigten Familienangehörigen zugesagt.

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Mehr als zwei Drittel der Menschen, die eine Zusage für Deutschland erhalten haben, konnten demnach inzwischen aus Afghanistan ausreisen - meist über Pakistan. Als problematisch bei den Verbliebenen erweist sich unterem anderem, dass die Taliban einen Reisepass verlangen, den aber nicht alle Ausreisewilligen besitzen.

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Die Linken-Abgeordnete Bünger nennt die Bilanz ein "Desaster". Die alte Regierung habe sträflich dabei versagt, gefährdete Menschen rechtzeitig aus Afghanistan herauszuholen, sagte sie dem Spiegel. Clara Bünger twitterte dazu: "Die Bilanz lässt sich nicht schönreden: Die alte Regierung hat versagt, als es darum ging, gefährdete Menschen rechtzeitig aus Afghanistan herauszuholen. Die neue Regierung hat es nicht einmal geschafft, wenigstens diejenigen in Sicherheit zu bringen, die eine Aufnahmezusage erhalten haben."

Die Bundeswehr war Ende Juni 2021 nach fast 20 Jahren aus Afghanistan abgezogen. Die Taliban hatten Mitte August 2021 in der Hauptstadt Kabul die Macht übernommen. Seit Juli beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestages mit den damaligen Vorgängen. Dabei geht es auch um das Schicksal der Ortskräfte, die immer noch auf die Ausreise nach Deutschland warten.

© SZ/dpa/reuters/bac - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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