Reaktion auf Massenausbruch in Kandahar:"Das ist eine Katastrophe"

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Wie konnte das passieren? Monatelang gruben Taliban einen Fluchttunnel unter dem Gefängnis von Kandahar - mitten in die politische Abteilung, wo die radikalen Islamisten einsitzen. Rund 500 konnten fliehen, die Regierung des Landes spricht von einer Katastrophe.

Monatelang haben die Befreier im Untergrund gegraben. An diesem Sonntagabend ist ihnen dann gelungen, was man sonst nur aus Filmen kennt: Rund ein Drittel der Insassen des Gefängnisses im südafghanischen Kandahar konnte über einen Tunnel in die Freiheit fliehen - fast alle Mitglieder der radikalislamischen Taliban. Die afghanische Regierung spricht von einer Katastrophe.

Afghanischer Soldat vor Gefängnis in Kandahar: Tunnel in die politische Abteilung (Foto: dpa)

Gefängnisdirektor Ghulam Dastageer Majar sagte, der auf 320 bis 360 Meter geschätzte Tunnel habe aus dem Inneren der Anstalt, der Abteilung für politische Gefangene, bis vor deren südliche Außenmauern gereicht. Er wurde ersten Angaben zufolge aus einem Wohnhaus außerhalb des Gefängnisses heraus gebaut - nach Erkenntnissen von Ermittlern soll ein alter Abwasserkanal genutzt worden sein. Die Taliban teilten indes mit, der Bau des Fluchttunnels habe schon vor fünf Monaten begonnen. Bei dem Massenausbruch sei es zu keinerlei Kämpfen gekommen. Ein Selbstmordkommando sei am Gefängnis gewesen, habe jedoch nicht angreifen müssen.

Der Gefängnisleitung und der Provinzregierung zufolge flohen bis zu 476 Häftlinge, nach Angaben der Islamisten sogar 541. Taliban-Sprecher Jusuf Ahmadi sagte, unter den Ausgebrochenen seien 106 Anführer, die anderen seien einfache Kämpfer. Alle seien mit Fahrzeugen zu Taliban-Stützpunkten gebracht worden. Ein anderer Taliban-Sprecher, Kari Jussef Ahmadi, sagte, bei vier der Entkommenen handele es sich um Führer der Aufständischen auf Provinzebene.

Provinzgouverneur Toorjalai Wesa bestätigte, dass es sich bis auf einen Geflohenen durchweg um Taliban-Kämpfer handelte. Es sei gelungen, einige wenige wieder einzufangen. Auf die Frage, wie ein 320 Meter langer Tunnel von außen zu den Gefängniszellen gegraben werden konnte, ohne das etwas bemerkt wurde, sagte er, die Ermittlungen liefen. Dass die Grabungen unbemerkt blieben, sei auch auf das "dienstliche Versagen" von Geheimdienst und Gefängnispersonal zurückzuführen.

Ein Sprecher von Präsident Hamid Karsai sagte in Kabul, der Gefängnisausbruch sei eine "Katastrophe": "Das hätte niemals passieren dürfen." Das für die Gefängnisse des Landes zuständige Justizministerium versuchte dagegen, die Massenflucht herunterzuspielen. "Das kann überall auf der Welt passieren", sagte Vizeminister Mohammad Hashminsai, der aus der Hauptstadt Kabul in den Süden geeilt war. "Wir werden ausreichende Vorkehrungen treffen, damit sich so etwas nicht wiederholt."

Spektakulärer Großausbruch schon 2008

In und um Kandahar wurde eine militärische Großfahndung gestartet. Wesa zeigte sich zuversichtlich, die Geflohenen rasch finden zu können, weil man biometrische Daten von allen Häftlingen habe. Die Nato-Truppe Isaf zeigte sich zu einer Beteiligung an der Suche bereit. Sprecher Michael Johnson sagte Kabul jedoch, dass man nur eingreifen könne, wenn die Behörden des Landes dies wünschen. Der deutsche General und Isaf-Sprecher Joseph Blotz sagte, weil das Gefängnis nicht von der Isaf betrieben worden sei, wisse man noch nicht, welche Rolle die Ausbrecher innerhalb der Taliban-Bewegung gespielt hätten. Der Vorfall sei ein Rückschlag im Kampf gegen die Aufständischen.

Die Provinz Kandahar an der Grenze zu Pakistan ist eine Hochburg der radikalislamischen Taliban. gilt als Hochburg der Taliban. Trotz mehrerer Nato-Offensiven gab es dort in den vergangenen Monaten mehr Übergriffe. Der Gefängnisausbruch ist ein Rückschlag angesichts der Pläne, im Juli schrittweise den Abzug der Isaf-Truppen zu beginnen und die Verantwortung für die Sicherheit des Landes allmählich an die Afghanen zu übergeben.

Die Massenflucht war der zweite Großausbruch aus dem Gefängnis von Kandahar innerhalb von drei Jahren. 2008 waren rund 1000 Häftlinge aus der Anstalt gelangt, darunter viele Taliban. Damals sprengten Helfer mit Hilfe einer immensen Lastwagenbombe ein Tor des Gefängnisses auf. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden seitdem nach Angaben der Behörden verbessert. Das Gefängnis ist die größte Haftanstalt in Südafghanistans.

© AFP/DAPD/dpa/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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