Afghanistan:Man kommt nicht mehr an ihnen vorbei

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Deutlich gesprächsbereiter: Mitglieder der Taliban-Delegation auf dem Weg zum Verhandlungstisch in Moskau. (Foto: Sergei Karpukhin/Reuters)

In Moskau sind erstmals Abgesandte der Kabuler Regierung und der Taliban offiziell zusammengetroffen.

Von Julian Hans und Tobias Matern, Moskau/München

Bevor sich die Türen des Moskauer President Hotels schlossen, hielt der russische Außenminister eine kurze Ansprache. Die Afghanistan-Konferenz, die dort stattfindet, solle nicht "in Kategorien geopolitischer Spiele" gemessen werden, mahnte Sergej Lawrow. Das Land dürfe "nicht in ein Spielfeld für die Rivalitäten fremder Kräfte verwandelt werden". In dem Hotel sind am Freitag erstmals Abgesandte der afghanischen Regierung und der Taliban offiziell zusammengetroffen.

Da Afghanistan seit jeher ein solches Spielfeld ist, drängt sich mit dem verstärkten Engagement Moskaus am Hindukusch die Frage auf, ob dort eine neue politische Partie begonnen hat.

Zwölf Staaten haben ihre Vertreter nach Moskau geschickt, neben Afghanistan selbst sind das die Nachbarn Iran, Pakistan, Turkmenistan, Tadschikistan und China. Auch Indien, Kasachstan, Usbekistan und Kirgisistan sind vertreten. Die USA schicken zumindest einen Diplomaten ihrer Moskauer Botschaft zu dem Treffen. Das Gespräch war ursprünglich für September geplant, musste aber verschoben werden. Deshalb hat das russische Außenministerium vor Beginn des Treffens schon die Erwartungen gedämpft.

Es ging vor allem darum, eine Atmosphäre für künftige weitere Treffen zu schaffen, erklärte ein Sprecher. Entsprechend gab es auch keine Abschlusserklärung. "Die Taliban erkennen die derzeitige Regierung nicht als legitim an. Deshalb werden wir nicht mit ihr verhandeln", sagte Mohammed Abbas Staniksai nach der Konferenz.

Das Treffen verstärkt die Dynamik, die in den vergangenen Monaten entstanden ist: Nach jahrelangen erfolglosen Bemühungen vonseiten des Westens und der afghanischen Regierung sind die Taliban nun deutlich gesprächsbereiter. Kürzlich hatte sich der US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad mit Vertretern der Taliban in Doha getroffen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Islamisten immer darauf beharrt, die USA und ihre Verbündeten müssten erst ihre Truppen aus Afghanistan abziehen, bevor die Islamisten bereit seien, sich mit der Regierung in Kabul an einen Tisch zu setzen. Nach dem Gespräch mit Khalilzad gaben sie erstmals öffentlich zu, dass es ein Treffen mit einem hochrangigen US-Diplomaten gegeben habe.

Kenner der Friedensbemühungen in Kabul sprechen von einem zweigleisigen Prozess, der parallel laufe und jederzeit wieder kollabieren könne: Einerseits müssten die USA mit den Taliban zu der Übereinkunft gelangen, dass amerikanische Truppen noch mehrere Jahre in Afghanistan stationiert bleiben dürften, um einen eventuellen Friedensschluss zu überwachen. Kommt es in dieser Frage zu einer Einigung, könnten ernsthafte innerafghanische Gespräche beginnen. Da der Konflikt militärisch nicht zu lösen ist und sich seit Jahren in einem Patt befindet, wird die Regierung den Aufständischen politisch entgegenkommen müssen: Eine Beteiligung an der Regierung wäre denkbar, etwa in Form von Ministerposten. Oder die offizielle Übertragung von Territorien, das die Taliban dann selbständig regieren könnten. Denkbar wäre auch ein Modell wie in Iran mit einem geistlichen Oberhaupt, das über den Köpfen der politischen Führung installiert werden könnte, wie ein Beobachter in Kabul sagt.

Sorgen haben besonders Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft, der Medien und Frauen - sie befürchten, dass sie bei Gesprächen zwischen Regierung und Islamisten als Verhandlungsmasse benutzt werden, um den Taliban einen Friedensschluss abzutrotzen. Drei Jahrzehnte, nachdem die sowjetische Armee geschlagen aus Afghanistan abziehen musste, hat Moskau sein Engagement in der Region zuletzt wieder deutlich verstärkt. Washington wirft der russischen Führung vor, die Taliban mit Geld und Waffen zu unterstützen. Moskau streitet dies ab.

Dabei wirkt es so, als hätten die USA und Russland die Rollen getauscht: Während Russland in Syrien an der Seite des Regimes von Baschar al-Assad steht und selbst seine gemäßigten Gegner als Terroristen bekämpft, fordert die russische Führung in Afghanistan, die Taliban in eine Friedenslösung einzubinden - obwohl sie auch in Russland als terroristische Organisation eingestuft sind. Ihre Vorgänger, die Mudschahedin, hatten mit amerikanischer Unterstützung einst gegen die sowjetischen Truppen gekämpft.

Nach dem Teilabzug der Nato-geführten Kräfte 2014 hatte Präsident Wladimir Putin die Sorge geäußert, Islamisten könnten von Afghanistan aus die früheren Sowjetrepubliken in Mittelasien destabilisieren. 2017 übten russische Streitkräfte gemeinsam mit Kräften aus Tadschikistan nahe der afghanischen Grenze. Inzwischen haben sich alle Beteiligten damit abgefunden, dass die Taliban auf Dauer ein Machtfaktor im Land bleiben werden, mit dem man sich arrangieren muss.

© SZ vom 10.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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