Afghanistan-Konferenz:Glückwunsch, Taliban!

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40 Außenminister haben bei der Afghanistan-Konferenz viel diskutiert, doch wieder wurde kein klares Zukunftsbild für das Land entworfen. Das Signal am Ende der Woche war: Die Gegner haben den Krieg gewonnen.

Sayed Yaqub Ibrahimi

Es war die größte internationale Konferenz, die es jemals in Afghanistan gab. Mehr als 40 Außenminister kamen am Dienstag dieser Woche nach Kabul, um über die Zukunft des Landes zu beraten. Aber wie alle früheren Konferenzen über Afghanistan schaffte sie eines nicht: ein klares Zukunftsbild für dieses Land zu entwerfen. Wird Afghanistan nach dem Rückzug der Nato ein demokratischer Staat sein? Oder ein Stammessystem verschiedener Kriegsherren? Oder eine Theokratie von Taliban-Hardlinern? Mit all dem befasste sich die Konferenz nicht. Ihre Tagesordnung beschränkte sich auf den Abzug der Nato-Kräfte und die Übergabe der Verantwortung an die afghanische Regierung.

"Wir sind die Sieger dieses Krieges", sagte unlängst ein Taliban-Sprecher. (Foto: Reuters)

In dieser Woche haben wir Afghanen gelernt: Die Sichtweise, mit der sowohl afghanische wie internationale Politiker auf den Konflikt hier blicken, ist von Routine geprägt. Ein solcher Blick kann freilich nicht sehr weit reichen. Die Konferenz hat gezeigt, dass die Staatsmänner der Welt am Problem Afghanistan nicht mehr interessiert sind. Deshalb suchen sie ungeduldig nach jedem möglichen Ausweg, um das Land loszuwerden. Und die Konferenz hat gezeigt, dass sich die afghanischen Politiker nicht wirklich mit langfristigen Projekten zum Aufbau des Landes befassen. Stattdessen bestehen sie darauf, 50 Prozent der internationalen Hilfsgelder in die korrupte eigene Regierungsbürokratie zu lenken und so ihren Reichtum zu mehren.

Die größten Gefahren für Afghanistan, die Wurzeln seiner Instabilität, lauten: Terrorismus, Machtausübung der Kriegsherren, Korruption, Armut, Ungerechtigkeit, Drogen, undemokratische Stammesstrukturen. Auf diese Probleme hätte eine solch riesige Versammlung eingehen müssen. Wenn sie sich stattdessen aber mit der Übergabe der Verantwortung und dem Abzug der Streitkräfte beschäftigt, so trägt sie nicht zur Lösung, sondern zur Verlängerung des Konflikts bei. In Afghanistan besteht keinerlei Voraussetzung, diese Übereinkunft der Außenminister umzusetzen.

Es ist unmöglich, 50 Prozent der Hilfsgelder transparent durch afghanische Regierungskanäle zu schleusen. Nach einem Jahrzehnt der Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft ist die Regierung noch nicht einmal fähig, ihr Jahresbudget auszugeben; 2009 gelang ihr das nur mit knapp der Hälfte des Etats. Zugleich leistet sich Afghanistan die zweitkorrupteste Regierung der Welt, nach Somalia. In Afghanistan ist es niemandem möglich, die Unterschrift eines Beamten auf ein Dokument zu bekommen, ohne Bestechungsgeld zu zahlen. Ein solches System kann internationale Hilfsgelder nicht transparent auszahlen.

Die internationale Gemeinschaft hat beim Aufbau des Staates in Afghanistan den falschen Weg eingeschlagen. Ihr größter Fehler: Sie verzichtete auf die Schaffung von Recht und Gerechtigkeit sowie auf die Verfolgung von Kriegsverbrechern. Sobald sich Kriegsverbrecher und Kriegsherren sicher fühlten, drangen sie durch die Zahlung von Geld, durch Ausübung ihres gesellschaftlichen Einflusses und ihre militärische Stärke ins Innere der Regierung vor. Inzwischen sind wichtige Ministerien aufgeteilt unter Kriegsherren, Drogenhändlern, der Wirtschaftsmafia und ihren Komplizen. Sie kontrollieren alle Entwicklungs- und Wiederaufbauprojekte. Sie lassen sie von ihren eigenen privaten Organisationen umsetzen.

Unter diesen Umständen ist es nicht möglich, solche Projekte zu überwachen. Ein Zugeständnis, 50 Prozent der internationalen Hilfe direkt von der afghanischen Regierung auszahlen zu lassen, bedeutet daher: Milliarden Dollar werden direkt in die Taschen von Kriegsherren und Drogenhändlern geschüttet. Auf Projekte, die direkt unter der Kontrolle internationaler Hilfsorganisationen stehen, könnten diese Leute hingegen nicht so leicht zugreifen.

Nun konnte realistischerweise niemand erwarten, dass es bei der Konferenz um den Zustand der afghanischen Regierung gehen würde. Wie auch? Es saß doch der berüchtigte Kriegsherr Mohammad Qasim Fahim als Vizepräsident neben US-Außenministerin Hillary Clinton im Raum - ein Mann, den die Organisation Human Rights Watch mit Banden sowie mit Kriegsverbrechen seit den 1990er Jahren in Verbindung bringt.

Die Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit im Land an die afghanische Regierung wurde nur sehr vage diskutiert. Die Regierung war nicht imstande zu zeigen, wie sie das Land nach dem Abzug der Nato auf demokratische Weise kontrollieren will. Präsident Karsais Sicherheitsprojekte sind ebenso vage und wirkungslos wie der Begriff der Übergabe von Verantwortung. Um seinen Ehrgeiz in dieser Frage zu unterstreichen, billigte Karsai nur eine Woche vor der Konferenz das Vorhaben, Dorfbewohner zu bewaffnen. Bei diesem sogenannten Selbstverteidigungsprogramm gibt die afghanische Regierung Waffen an die örtliche Bevölkerung aus, damit sie Aufständische selber bekämpft.

Solche Programme zeigen, dass die staatlichen Sicherheitskräfte in Afghanistan nicht in der Lage sind, Sicherheit zu gewährleisten. Davon abgesehen, gibt es auch keinerlei Garantie dafür, dass sich die Dorfbewohner nicht den Aufständischen anschließen, sobald sie im Besitz der Waffen sind. Örtliche Stammeskräfte zu bewaffnen, das ist ein untaugliches Experiment, wie man noch aus der Endzeit der sowjetischen Besatzung Afghanistans weiß. Die Rote Armee hatte damals ebenfalls Stammeskräfte bewaffnet; sie sollten ihr Marionettenregime in Kabul verteidigen. Es kam dann aber so, dass diese Menschen prompt zu den Aufständischen überliefen und die Zentralregierung stürzten.

Mit anderen Worten: Wenn es der internationalen Gemeinschaft nun vor allem um den Abzug der Nato-Streitkräfte und die Übergabe der Verantwortung an Afghanistans korrupte und schwache Regierung geht, so bedeutet dies im Grunde: Sie akzeptiert einen Sieg der Taliban und ihrer terroristischen Verbündeten. Anfang Juli erklärte der Taliban-Sprecher Zabiullah Mudschahid den Medien: "Wir sind die Sieger dieses Krieges. Die Fremden verlassen Afghanistan. Warum also sollten wir Verhandlungen zustimmen, da wir doch die Sieger sind?"

Wenn wir Mudschahids Äußerungen ernst nehmen, dann war die wichtigste Botschaft der Konferenz von Kabul: Gratulieren auch wir den Taliban zu ihrem Sieg!

Sayed Yaqub Ibrahimi, 28, ist Journalist in Kabul. Er berichtet für das Institute for War and Peace Reporting in London.

© SZ vom 24.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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