Afghanistan:Karsai will Macht der US-Truppen einschränken

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Der mächtige Verbündete dürfte verstimmt sein: Die Loja Dschirga in Kabul macht weitgehende Einschränkungen der amerikanischen Truppen in Afghanistan zur Bedingung für ein strategisches Abkommen mit den USA. Karsai sieht darin keinen Ratschlag, sondern eine Anweisung.

Schon zum Auftakt der Loja Dschirga in Kabul waren die Amerikaner dem Vernehmen nach nicht begeistert. Präsident Hamid Karsai hatte Bedingungen für das geplante strategische Abkommen mit den USA formuliert, das die Afghanen eigentlich viel dringender benötigen als die Amerikaner - und über das die Delegierten beraten sollten.

Afghanistans Präsident Hamid Karzei spricht bei der Schlussfeier der Loja Dschirga in Kabul. (Foto: dapd)

Zum Ende der Loja Dschirga am Samstag dürfte die Laune in Washington noch viel schlechter geworden sein. Die Macht der US-Truppen soll deutlich eingeschränkt werden. Sage und schreibe 76 Artikel umfasst die Abschlusserklärung der Versammlung. 22 davon behandeln den Friedensprozess mit den Taliban, der zwar keinerlei Fortschritte macht, den die Delegierten aber trotzdem fortgesetzt sehen wollen.

In den restlichen 54 Punkten stellen die Delegierten teils harsche Bedingungen für das Abkommen, das unter anderem eine Stationierung von US-Soldaten für die Zeit nach dem Abzug der Nato-Kampftruppen Ende 2014 vorsieht. Die Forderungen der Delegierten sind weitgehender als jene, die Karsai als Linie vorgegeben hatte.

Selbst der Präsident zeigte sich erstaunt über die Fülle an Vorgaben - und machte sie sich umgehend zu eigen. Zur allgemeinen Überraschung verkündete er, er betrachte die Beschlüsse als Anweisung für seine Regierung. Zu Beginn der Loja Dschirga vier Tage zuvor hatte er noch klargemacht, dass er von den rund 2000 Delegierten nur Ratschläge erwarte.

Zwar schafften es nicht alle Forderungen aus den 40 Arbeitsgruppen in die Abschlusserklärung. Außen vor blieb etwa, dass die Amerikaner für jede Basis nicht nur 2000 Stipendien an junge Afghanen vergeben, sondern auch eine Milliarde Dollar bezahlen müssten - und das pro Jahr.

Ebenfalls nicht durchsetzen konnte sich die Idee, Saudi Arabien solle das afghanisch-amerikanische Abkommen mitunterzeichnen. Und nicht alle Punkte, die in die Erklärung aufgenommen wurden, werden den Amerikanern Bauchschmerzen bereiten. So dürfte sie Artikel 53 kaum belasten, der besagt, dass die USA in Afghanistan keinesfalls Atomwaffen einsetzen dürfen.

Aber einige Forderungen werden den Amerikanern und der Nato bitter aufstoßen - allen voran jene, wonach mit Unterzeichnung des Abkommens Hausdurchsuchungen und nächtliche Razzien ausländischer Soldaten enden müssen. Im Volk sind die "Night Raids" verhasst, bei denen Spezialkräfte in die Häuser von Verdächtigen eindringen - ein klarer Bruch mit afghanischer Tradition, nach der niemand ohne Einladung das Heim eines Fremden betritt.

Die Schutztruppe Isaf hält die Operationen, an denen meist amerikanische "Special Forces" beteiligt sind, für eine ihrer effektivsten Waffen im Kampf gegen die Taliban. Nach Angaben der Nato-geführten Isaf fällt in 85 Prozent der "Night Raids" kein einziger Schuss. Die Schutztruppe spricht von der "unblutigsten Operationsform" - die zugleich eine der effektivsten sei. Mehr als die Hälfte der Missionen verliefen erfolgreich. Zu zivilen Opfern komme es äußerst selten. Und an 95 Prozent der Operationen seien afghanische Sicherheitskräfte beteiligt.

Karsai kritisiert die nächtlichen Razzien seit langem. Bislang weigerte sich die Isaf dennoch standhaft, die Operationen dauerhaft auszusetzen. Sie hat lediglich zugesagt, den Anteil der Afghanen in den Einsatzteams zu erhöhen. Er soll von derzeit etwa einem Viertel so schnell wie möglich auf über 50 Prozent anwachsen - dann bestünden die Teams mehrheitlich aus einheimischen Sicherheitskräften.

Westliche Beobachter hatten vor der Dschirga befürchtet, dass die Delegierten Forderungen aufstellen könnten, die die Verhandlungen über das Abkommen weiter erschweren würden. Genau dieser Fall ist nun eingetreten. Ein zwischen Washington und Kabul ausgehandelter Entwurf sollte ursprünglich bereits vor der Loja Dschirga stehen. Dann hoffte man, das Papier werde bei der Afghanistan-Konferenz in Bonn in zwei Wochen vorliegen, wo die Internationale Gemeinschaft Afghanistan ihre Unterstützung auch nach 2014 verbindlich zusagen will.

Nach dem Ende der Großen Ratsversammlung deutet nun alles darauf hin, dass sich die Verhandlungen zwischen Kabul und Washington noch deutlich länger hinziehen werden als bis zur Bonn-Konferenz. Unwahrscheinlich ist, dass sich die mächtigen Amerikaner einen ganzen Katalog an Bedingungen für den Vertrag einfach diktieren lassen werden. Die Afghanen - und die Regierung Karsai - sind von den USA abhängig. Und das wird sich noch viele Jahre lang nicht ändern.

© dpa/Can Merey/wolf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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