Afghanistan:"Jetzt ist nicht die Zeit, fortzugehen"

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Ein "neues Afghanistan" sei in den vergangenen 20 Jahren entstanden, sagt Präsident Aschraf Ghani. (Foto: AFP)

Bei der Geberkonferenz für Afghanistan in Genf gibt sich die internationale Gemeinschaft Mühe, die von Donald Trump verbreitete Unruhe durch eine Reihe von Zusagen zu relativieren. Für die Menschen am Hindukusch ist das ein beruhigendes Signal.

Von Tobias Matern, München

Der Mann, um den es hier geht, ist gar nicht dabei. Donald Trump kämpft in Washington seinen wohl letzten Kampf als Präsident, während im Rest der Welt damit begonnen wird, die Folgen seines Handelns nachzujustieren oder zu beseitigen. So auch in Genf, wo am Dienstag Vertreter von mehr als 70 Ländern eine virtuelle Geber-Konferenz für Afghanistan abgehalten haben.

"Jetzt ist nicht die Zeit, fortzugehen", sagt Deborah Lyons, die Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Afghanistan, bei diesem Treffen. Und setzt damit den Ton, der sich von Trump fundamental unterscheidet. Denn der scheidende Präsident will in den letzten Tagen seiner Amtszeit unter anderem sein afghanisches Vermächtnis regeln und die Truppen noch schneller abziehen, als es ohnehin geplant ist.

Das würde die afghanische Regierung, die der US-Oberbefehlshaber durch seine überstürzte Politik bereits in arge Probleme gebracht hat, vollends mit dem Rücken an die Wand stellen. Denn die Verhandlungen, die eine von der Kabuler Regierung entsandte Delegation mit den Taliban in Doha führt, stocken nach wie vor in Verfahrensfragen. Die Zukunft des Landes und eine mögliche Machtteilung zwischen demokratischen Kräften und Islamisten steht bisher noch nicht einmal auf der Agenda. Es braucht also noch Zeit und eine robuste westliche Begleitung des afghanischen Friedensprozesses, damit das Land nicht wieder in die Hände der Taliban fällt.

Bei Versuchen, ein islamisches Emirat zu errichten, will die EU ihre Hilfe streichen

So ist es für die besorgte afghanische Bevölkerung zumindest ein einigermaßen beruhigendes Signal, das die internationale Staatengemeinschaft am Dienstag von Genf aus sendet: Die Bundesrepublik sagt 430 Millionen Euro, die Europäische Union sagt 1,2 Milliarden Euro für einen Vierjahres-Zeitraum an finanziellen Hilfen zu, auch andere Staaten machen Versprechen, knüpfen diese aber auch an Bedingungen. "Der künftige Weg Afghanistans muss die Fortschritte bei Demokratie und Menschenrechten seit 2001 bewahren, insbesondere bezüglich der Frauenrechte und Kinderrechte", sagt der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. "Jeglicher Versuch, wieder ein islamisches Emirat zu errichten, hätte einen Einfluss auf unser politisches und finanzielles Engagement."

Auch das klingt alles ganz anders als bei Trump, der darüber redet, dass er die US-Truppen heimholen will nach 20 Jahren Engagement in Afghanistan, der aber keinerlei Vorstellungen beschreibt, wie die Zukunft des Landes aussehen könnte. Und so ist in Kabul die Hoffnung groß, dass ein Präsident Joe Biden mit mehr Ruhe und Bedacht an die afghanische Frage herangehen wird - und wenigstens wie bisher vorgesehen die Truppen bis Ende April am Hindukusch lassen und sie auch dann erst abziehen wird, wenn sich die Taliban an einige Bedingungen halten.

Der afghanische Präsident Aschraf Ghani spricht in Genf davon, dass "ein neues Afghanistan in den vergangenen zwei Jahrzehnten entstanden" sei und die Erwartungen der afghanischen Bürger, in einem stabilen, sicheren Land zu leben, massiv gestiegen seien. "Das Hauptthema unserer Entwicklungsagenda ist, diese neuen Erwartungen zu erfüllen, indem wir angesichts beängstigender Herausforderungen so viel mehr mit so viel weniger machen", erklärt Ghani.

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