Afghanistan:Gemeinsam versagt

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Die USA hatten große Erwartungen an die afghanische Regierung unter Präsident Hamid Karsai, doch die Zusammenarbeit war katastrophal. Afghanen und Amerikaner konnten sich nicht einmal einigen, wie sie mit den Taliban umgehen. Wenn am Samstag Karsais Nachfolger gewählt wird, drohen zahlreiche Anschläge.

Ein Kommentar von Tobias Matern

Dutzende Hände strecken sich ihm entgegen, während er majestätisch durch den Saal zum Rednerpult schreitet. Die Senatoren und Abgeordneten lächeln ihm zu, der amerikanische Außenminister deutet Wangenküsse für den hohen Gast an. Noch bevor Hamid Karsai das erste Wort sagt, bekommt der Mann mit der Mütze aus Karakulschafsfell und dem blau-grünen Umhang Ovationen. Er bedankt sich vor dem versammelten US-Kongress für die Großzügigkeit und dafür, dass amerikanische Soldaten "ihre wertvollen Leben" für sein Land opferten.

Szenen aus einer anderen Zeit, vom Juni 2004. Interimspräsident Karsai ist damals in den USA ein gefeierter Held. Er gilt in Washington als der Mann, der Afghanistan nach dem Taliban-Regime in eine blühende Zukunft führen soll. Zwei reguläre Amtszeiten später wird an diesem Samstag sein Nachfolger gewählt. Die Amerikaner haben ihn zuletzt nur noch ignoriert, Karsai selbst hat keine Möglichkeit ausgelassen, seine Wut auf die USA zu ventilieren. Die Geschichte dieser zerrütteten Beziehung steht sinnbildlich für einen Einsatz, der mit großen Erwartungen begann, und nun ein Chaos hinterlassen könnte.

Daran haben beide Seiten ihren Anteil. Gewiss, Karsai war nicht der Staatsmann, den sich die USA erträumt haben. Er hat die Korruption nicht ernsthaft bekämpft, noch nicht einmal in der eigenen Familie. Seine Landsleute trauen zu Recht den politischen Institutionen ihres Landes nicht. Karsai war im Umgang mit dem Westen launisch, nicht immer berechenbar. Und er war nicht der Demokrat, den sich die Amerikaner formen wollten, sondern ein afghanischer Staatschef, der die Verhältnisse in seinem Land zu seinen Nutzen ausspielen, Allianzen schmieden und Günstlinge aufbauen konnte.

Auch war Karsai gewieft darin, eine äußerst diffizile, innenpolitische Machtbalance zu schaffen - nicht mit den Taliban, aber mit zahlreichen ehemaligen Feinden, die er mit Posten ruhigstellte. Karsai agierte also längst nicht mehr als die "Marionette der USA", zu dem ihn die Taliban wegen der Milliardenzuschüsse des Westens für seine Regierung immer degradieren wollten.

Bahnte eine Seite Gespräche an, sabotierte die andere diese

Karsais Motive, den Amerikanern zu misstrauen, sind nachvollziehbar. Washingtons Vertreter haben vor seiner Wiederwahl unverhohlen versucht, einen anderen Präsidenten in den Kabuler Palast zu bekommen. Das ist keine Verschwörungstheorie, noch nicht einmal mehr ein offenes Geheimnis. Es steht in den Memoiren des ehemaligen US-Verteidigungsministers Robert Gates. Bei aller verständlichen Enttäuschung in Amerika über den afghanischen Präsidenten beschreibt er darin einen Tabubruch, der ein passables Arbeitsverhältnis unmöglich gemacht hat.

Tragisch sind die Kränkungen unter Staatsmännern nicht. Tragisch ist vielmehr das Ergebnis dieser unfruchtbaren Zusammenarbeit. Das Verhältnis zwischen Kabul und Washington war in den vergangenen Jahren so antagonistisch, dass man sich noch nicht einmal auf eine gemeinsame Strategie verständigen konnte, um einen Friedensprozess mit den Taliban voranzubringen. Bahnte eine Seite Gespräche an, sabotierte die andere diese.

Die Islamisten wollen die Wahl mit Terroranschlägen überziehen. Nur wenige Monate vor dem Abzug der westlichen Kampftruppen lassen die Taliban keinen Willen erkennen, sich mit der afghanischen Regierung und den USA an einen Tisch zu setzen. Warum sollten sie auch, wenn die Verhandlungspartner keine gemeinsame Position zustande bringen? Die Aufständischen sind nicht stark genug, um Afghanistan wieder im Alleingang zu regieren. Aber auch nicht so geschwächt, dass sie Verhandlungen aufnehmen müssen. Diese Chance haben Karsai und die USA gemeinsam vertan.

© SZ vom 05.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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