Afghanistan:Ein paar Tage Atempause

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Vom Frieden weit entfernt: Afghanische Soldaten patrouillieren am Ort eines Anschlags in Jalalabad. Am Montag kamen landesweit mindestens 41 Menschen bei Angriffen ums Leben. (Foto: Mohammad Anwar Danishyar/dpa)

Es ist ein Hoffnungsschimmer in dem seit 17 Jahren tobenden Krieg: Die Taliban haben Präsident Ghanis Aufruf zur Waffenruhe angenommen. In Kabul ist der Schritt des Politikers allerdings umstritten.

Von Tobias Matern, München

Er wirkt wie ein Mann, der mit dem Mut der Verzweiflung jetzt alles auf eine Karte setzt. Afghanistans Präsident Aschraf Ghani hat für sein Land eine Waffenruhe ausgerufen. Sie soll an diesem Dienstag beginnen und eine Woche anhalten - bis über das Ende des Fastenmonat Ramadan am Sonntag hinaus. Die Streitkräfte, so Ghanis Dekret, müssen in dieser Zeit ihre Angriffe gegen die Taliban einstellen. Der Staatschef folgt damit einem Aufruf von Religionsgelehrten, die den Krieg in Afghanistan vergangene Woche unislamisch genannt und ein Ende der Kampfhandlungen gefordert hatten. Die Geistlichen gerieten dann aber selbst ins Visier - Aufständische attackierten die Veranstaltung und töteten neun Menschen.

Dennoch gibt es für Afghanistan im 17. Jahr des Krieges nun zumindest einen kleinen Hoffnungsschimmer: Nachdem die Taliban sonst alle Appelle Ghanis ignoriert haben, wollen sie sich nach eigener Darstellung zumindest drei Tage an der Waffenruhe beteiligen, wie sie in einer Stellungnahme bekannt gaben. Ghanis Schritt ist in Kabul trotzdem umstritten. Zu tief sitzt das Misstrauen gegenüber den Taliban, die mit blutigen Anschlägen die Zivilbevölkerung und die Sicherheitskräfte terrorisieren. Und auch ihrer eigenen Regierung, die in heillose Grabenkämpfe verstrickt ist, trauen die meisten Afghanen nicht viel zu im Ringen um Frieden in ihrem Land.

Ghani kämpft für eine bessere Bilanz - seine Regierung ist bisher vor allem von Konflikten geprägt

Während manche Beobachter von einer "Geste des guten Willens für den Friedensprozess" sprechen, halten andere Analysten Ghanis diplomatische Offensive für regelrecht kontraproduktiv. "Wir haben keine Ahnung, warum der Präsident den einseitigen Waffenstillstand ausgerufen hat", sagt der Kabuler Politikanalyst Haroun Mir der Süddeutschen Zeitung. Der Staatschef verunsichere damit die eigenen Sicherheitskräfte. Auch meldete sich die Witwe eines von den Taliban getöteten Polizisten beim Fernsehsender al-Dschasira zu Wort, die das Angebot "eine Beleidigung" für ihre Familie und ihren gefallenen Mann nannte. Ein Kabuler Regierungsbeamter, der namentlich nicht genannt werden will, räumte im Gespräch mit der SZ ein, für die Sicherheitskräfte könnte die Phase der Waffenruhe "sehr schwer werden, aber sie soll verdeutlichen, dass wir ein Ende der Gewalt finden müssen".

Bereits im Februar hatte Ghani bei einer internationalen Konferenz den Taliban weitreichende Angebote gemacht, um sie von ihrem Kurs der Gewalt abzubringen. Für den Präsidenten, der 2014 an die Macht kam, hat das letzte Jahr seiner ersten Amtszeit begonnen - er kämpft für eine bessere Bilanz. Denn bisher prägen interne Konflikte seine Regierungszeit.

Die US-Regierung hatte nach der letzten Wahl einen Burgfrieden zwischen Ghani und dem unterlegenen Kandidaten Abdullah Abdullah vermittelt. Der Grundgedanke: Abdullah in der Regierung ist ungefährlich, Abdullah als unterlegener Kandidat ohne Amt ist schwer berechenbar, weil er seine Anhänger gegen Ghani auf die Straße bringen könnte. Im multiethnischen Afghanistan kann so etwas der Anfang eines Bürgerkriegs sein.

Ghani und Abdullah haben es in den vergangenen Jahren nach Ansicht von Beobachtern nur selten geschafft, sich zusammenzuraufen. Die Regierung ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, von einer Einheitsfront gegen die Taliban kann keine Rede sein. Umso mehr hat Ghani nun in den vergangenen Monaten versucht, sein Profil als Friedenspräsident zu schärfen. Lob für die jüngste Initiative erhält er von den internationalen Partnern, etwa aus Berlin: "Wir begrüßen sie nachdrücklich", heißt es dazu aus dem Auswärtigen Amt.

Ghani, der früher bei der Weltbank Karriere gemacht hat, übernahm die Führung in Afghanistan zu einem Zeitpunkt, als der Westen seine Kampftruppen gerade abzog. Bis zu 150 000 Nato-Soldaten hatten es seit der Vertreibung der Taliban aus Kabul im Jahr 2001 nicht vermocht, die Aufständischen zu bezwingen oder sie zumindest zu Verhandlungen zu bewegen. Das verbliebene Kontingent ausländischer Truppen, im Moment etwa 20 000, ist vor allem dazu da, die afghanischen Sicherheitskräfte auszubilden. Diese zahlen im Kampf gegen die Taliban einen hohen Blutzoll. Der Präsident bemüht sich daher mit aller Macht darum, die Islamisten an den Verhandlungstisch zu bekommen, weil er weiß, dass sich der Konflikt nicht militärisch zugunsten seiner Regierung entscheiden lässt. Die Taliban sind allerdings nicht mehr die einzige bewaffnete Gruppe, die Ghani zusetzt. Der "Islamische Staat" (IS) hat seine Macht ausgebaut. Der Präsident hat den IS denn auch aus seinem Angebot für eine Waffenruhe ausgenommen.

Wie weit das Land noch vom Frieden entfernt ist, zeigte sich erneut am Montag, als landesweit mindestens 41 Menschen ums Leben kamen. Der IS reklamierte einen Anschlag in Kabul für sich, nicht weniger als zwölf Menschen starben. Und auch die Taliban attackierten unmittelbar vor Beginn der Waffenruhe einen Kontrollposten in der Provinz Kundus, in der früher die Bundeswehr stationiert war. Dabei starben mindestens 15 Sicherheitskräfte.

© SZ vom 12.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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