Afghanistan:Ein Land, zwei Präsidenten

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Zu seiner Amtseinführung kamen am Montag die internationalen Vertreter: Aschraf Ghani. Sein Rivale legte gleichzeitig den Eid ab. (Foto: Mohammad Ismail/Reuters)

Aschraf Ghani und Abdullah Abdullah streiten um die Macht - keine guten Voraussetzungen für die anstehenden Friedensgespräche mit den Taliban.

Von Tobias Matern, München

Zwei Männer haben am Montag in Kabul einen Eid abgelegt, seitdem halten sich beide für legitime afghanische Staatschefs. Da die Verfassung allerdings explizit nur eine Person vorsieht, die das Land mit Hilfe von zwei Vizepräsidenten führt, ist Afghanistan am Montag in eine politische Krise gestürzt. Und das zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, weil die Regierung bald Gespräche mit den Taliban aufnehmen will, um das Leben im Land nach fast 19 Jahren Krieg in friedliche Bahnen zu lenken.

Im Februar hatte die afghanische Wahlkommission den bisherigen Amtsinhaber Aschraf Ghani fünf Monate nach der Abstimmung zum Sieger erklärt - das Auszählungsverfahren war aufwendig und von technischen Schwierigkeiten geprägt. Allerdings gehen viele neutrale Beobachter davon aus, dass Ghani tatsächlich die meisten Stimmen erhalten hat. Sein Rivale Abdullah Abdullah wollte das nicht akzeptieren, er sprach von "Betrug", der Wille des Volkes werde missachtet, glaubt er.

Schon bei den vergangenen beiden Präsidentschaftswahlen hatte Abdullah als Zweitplatzierter Anspruch auf den ersten Posten im Staate reklamiert - allerdings mit einem Unterschied: Abdullah ließ damals eine Hintertür für Verhandlungen offen und wurde vor fünf Jahren mit dem extra für ihn geschaffenen Posten des "Regierungsgeschäftführers" unter Präsident Ghani belohnt. Ob das dieses Mal noch möglich ist, erscheint angesichts seiner parallel inszenierten Amtseinführung zweifelhaft.

Die internationale Gemeinschaft verdeutlichte am Montag, dass sie Ghani als Präsidenten anerkennt - der US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad und Vertreter des internationalen Militäreinsatzes nahmen an seiner Zeremonie teil. Während Ghanis Rede waren Explosionen zu hören. Zwei Raketen sollen einige Kilometer entfernt eingeschlagen sein, wie es aus Sicherheitskreisen hieß. Der Sender Tolo-TV berichtete, Ghani habe seine Rede nach kurzer Pause fortgesetzt. "Wir haben große Angriffe gesehen. Ein paar Explosionen sollten uns keine Angst machen", sagte der Präsident.

Eine Regierung aus mehreren Fraktionen könnte eine Hintertür für Abdullah sein

Ghani schließt auch nicht aus, eine Regierung aus verschiedenen Fraktionen zu bilden, das könnte eine Hintertür für Abdullah sein. Der bisherige Regierungsgeschäftsführer agiere "gegen den Willen der afghanischen Bevölkerung", sagte Ghanis Sprecher Sediq Sediqqi der Süddeutschen Zeitung. Sämtliche Betrugsvorwürfe, die Abdullah erhoben habe, seien entkräftet worden. Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig von der Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network sagte der Nachrichtenagentur dpa hingegen: "Wir wissen nicht, wie die Wahl wirklich ausgegangen ist." Hätte man die von Abdullah beanstandeten 300 000 Stimmen annulliert, so wäre ein zweiter Wahlgang wahrscheinlich gewesen. Die Wahlkommission hatte Ghani mit 50,64 Prozent der Stimmen einen knappen absoluten Sieg nach der ersten Abstimmungsrunde bescheinigt.

Eigentlich hat Afghanistan aber noch drängendere Probleme. Die Taliban haben mit den USA vorletzte Woche in Doha einen Friedensvertrag geschlossen. Demnach verpflichten sich die Islamisten, dass Afghanistan nicht wieder Rückzugsort für Terroristen wird wie 2001, als Osama bin Laden vom Hindukusch aus die Anschläge in New York organisierte.

Die USA und in ihrem Gefolge alle Staaten, die die etwa 20 000 Mann starken internationalen Truppen stellen, haben sich auf einen stufenweisen Abzug bis Ende April 2021 aus Afghanistan eingelassen. Er ist an Bedingungen geknüpft. An den Gesprächen in Doha hat die afghanische Regierung auf Drängen der Taliban aber nicht teilnehmen dürfen. Präsident Ghani soll erst jetzt mit den Islamisten einen innerafghanischen Friedensprozess starten. Vorgesehen war, dass dieser Dialog spätestens an diesem Dienstag aufgenommen wird, doch ob das gelingt, ist zweifelhaft. Präsidenten-Sprecher Sediqqi sagte lediglich, dass sich am Dienstag abzeichnen werde, wie es bei den Verhandlungen mit den Taliban weitergehen werde.

Wie schwer diese Gespräche nach dem vorab getroffenen Deal zwischen den USA und den Taliban werden, haben bereits die ersten Tage nach dem Abkommen von Doha gezeigt. Während Ghani darauf pochte, dass sich die Taliban weiter an ihre Verpflichtung halten müssten, die Gewalt in Afghanistan einzudämmen, haben die Islamisten wieder ihre Attacken auf afghanische Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch gab es einen Dissens über die Frage, ob Ghani zunächst Taliban-Häftlinge aus dem Gefängnis entlassen müsse oder dieser Aspekt erst Teil der Verhandlungen werde.

Trump will den längsten Kriegseinsatz der US-Geschichte zügig beenden

Insidern zufolge will Ghani noch in dieser Woche die Freilassung von mindestens 1000 Taliban-Kämpfern ankündigen. In der vergangenen Woche hatte US-Präsident Donald Trump bekanntgegeben, er habe persönlich mit Taliban-Verhandlungsführer Mullah Abdul Ghani Baradar telefoniert und "ein gutes Gespräch" geführt. Auch wenn die USA betonen, sie würden ihre afghanischen Partner nicht im Stich lassen und seit dem Vertrag von Doha nach eigener Darstellung auch einen Luftangriff gegen Taliban-Stellungen geflogen haben, misstrauen viele Afghanen den Versprechen. Schließlich will Trump im November wiedergewählt werden und seine Ankündigung, den längsten Kriegseinsatz der US-Geschichte zu beenden, wird er wohl nicht kassieren.

Laut einem Sprecher begannen die USA trotz des innerafghanischen Chaos mit dem Truppenrückzug bereits am Montag.

© SZ vom 10.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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