Afghanistan:Ein bisschen Frieden

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USA und Taliban reduzieren die Gewalt und steuern auf ein Abkommen zu, doch in Kabul taktieren die Politiker: Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Abdullah Abdullah möchte eine Gegenregierung bilden.

Von Tobias Matern, München

Die innenpolitische Krise in Afghanistan gefährdet zunehmend den Friedensprozess im Land. Abdullah Abdullah, der unterlegene Präsidentschaftskandidat, setzte am Wochenende seinen massiven Konfrontationskurs gegen die Regierung von Präsident Aschraf Ghani fort - er will das in der vergangenen Woche bekannt gegebene Wahlergebnis nicht akzeptieren und eine eigene Regierung bilden.

Das Ergebnis der Abstimmung basiere auf "Betrug", teilte er am Samstag in einer Stellungnahme mit. Afghanische Medien berichteten, er habe in einer nördlichen Provinz bereits einen eigenen Gouverneur ernannt. In der vergangenen Woche hatte die afghanische Wahlkommission nach fast fünf Monaten Amtsinhaber Aschraf Ghani mit knapper absoluter Mehrheit zum Sieger erklärt. "Wir hoffen, dass alle Politiker ihre Unstimmigkeiten hinter sich lassen können und den Friedensprozess unterstützten", sagte Ghanis Sprecher Sediq Sediqqi der Süddeutschen Zeitung.

Es ist nicht das erste Mal, dass Abdullah ein Wahlergebnis anficht - auch vor fünf Jahren hatte er seine Niederlage gegen Ghani nicht eingestehen wollen. Damals hatten die USA zwischen den beiden politischen Kontrahenten einen Kompromiss vermittelt, für Abdullah wurde der Posten des "Regierungsgeschäftführers" geschaffen - ein Sonderkonstrukt, das die afghanische Verfassung eigentlich nicht vorsieht. Doch während ihrer gemeinsamen Amtszeit konnten beide Politiker ihre Differenzen nie beilegen. Beobachter in Kabul spekulieren nun, ob Abdullah mit seiner aktuellen Strategie letztlich doch wieder versuche, sich einen hohen Posten in Ghanis Regierung zu sichern. Trotz aller Schwierigkeiten im Auszählungsprozess zweifeln unabhängige Beobachter nicht daran, dass Ghani tatsächlich die meisten Stimmen eingefahren hat.

Doch Abdullah geht dieses Mal extrem weit: Er hat sich öffentlich mit einer Reihe von einflussreichen Kriegsfürsten und dem Ex-Präsidenten Hamid Karsai getroffen, der nach wie vor großen Einfluss auf die politische Lage in Kabul ausübt. Das Signal, das Abdullah damit offenbar aussenden will: Wir schmieden eine große Koalition gegen Ghani.

Das Durcheinander in Kabul fällt in eine besonders kritische Zeit: Nach monatelangen Verhandlungen mit den USA haben die Taliban in der vergangenen Woche einer Reduzierung der Gewalt in Afghanistan zugestimmt. Sollten sich die Kämpfer an die Vorgaben der Taliban-Führung halten und es in dieser Woche tatsächlich weniger Angriffe auf afghanische Truppen geben, soll es am kommenden Samstag zur Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen Washington und den Islamisten kommen. Darin soll der schrittweise Abzug der ausländischen Truppen festgehalten werden, im Gegenzug sollen sich die Taliban verpflichten, dass Terroristen Afghanistan nicht erneut als Rückzugsort nutzen dürfen, um Anschläge wie den vom 11. September 2001 planen können.

Allein im vergangenen Jahr wurden über 10 000 Afghanen verletzt oder gar getötet

Die Vereinbarung wäre der erste Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden Frieden in Afghanistan. Dafür sind aber noch Verhandlungen zwischen der Regierung Ghani und den Taliban erforderlich. "Wir sind zufrieden, dass die Taliban einer Reduzierung der Gewalt zugestimmt haben", kommentierte Präsidentensprecher Sediqqi. Die Regierung werde nun genau überprüfen, ob die Taliban sich tatsächlich an die Vereinbarung hielten. Entgegen früherer Entwicklungen seien Kabul und Washington dieses Mal auf der "selben Seite", um den Prozess für den innerafghanischen Friedensdialog in Gang zu bringen. "Wir stimmen in den Zielen für eine politische Lösung überein", betonte Sediqqi. Die Frage, ob es für Abdullah noch einen Weg zurück in die Regierung Ghani geben könne, wollte der Sprecher des Präsidenten nicht beantworten.

Die Afghanen haben nach 19 Jahren westlicher Truppenpräsenz den sehnlichen Wunsch nach Frieden, ihr Alltag ist nach wie vor von Gewalt bestimmt. Die Vereinten Nationen veröffentlichten am Wochenende einen Bericht, demnach sind allein im vergangenen Jahr 3400 Zivilisten infolge des Krieges gestorben, weitere 7000 Menschen wurden verwundet. Es sei noch zu früh für Optimismus, sagte Sima Samar, die Chefin der afghanischen Menschenrechtskommission. Sie hoffe inständig, dass sich die Geschichte in ihrem Land nicht wiederhole und Afghanistan nach dem Abzug der ausländischen Truppen nicht auf den nächsten Konflikt zusteuere.

Ende der 1980er-Jahre hatten die unterschiedlichen Fraktionen in Kabul nach dem Abzug der sowjetischen Truppen ihre Differenzen nicht beilegen können. Das Land stürzte in einen Bürgerkrieg, den die Taliban mit ihrer Machtübernahme nach dem Einmarsch in Kabul 1996 beendeten.

© SZ vom 24.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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