Afghanistan:Die große Stunde des Verhandlers

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Kommt es zu einem Friedensschluss zwischen den USA und den Taliban, wäre Zalmay Khalilzad, 67, ein Eintrag in den Geschichtsbüchern sicher. Das Foto zeigt ihn im Jahr 2005, damals war der Diplomat als US-Botschafter in Afghanistan stationiert. (Foto: Getty Images)

In Doha verhandeln die Taliban mit dem US-Gesandten Zalmay Khalilzad. Der gebürtige Afghane soll den Amerikanern zu einem gesichtswahrenden Abschluss des Krieges verhelfen.

Von Tobias Matern, München

Vielleicht hat er die Memoiren zu früh veröffentlicht. Auch wenn Zalmay Khalilzad bereits 2016 einiges zu erzählen hatte über sein Leben, das in Afghanistan begann und ihn als Spitzendiplomat bis in Washingtons zentrale Machtzirkel gebracht hat. "Der Gesandte. Von Kabul ins Weiße Haus, meine Reise durch eine turbulente Welt", nannte er seine Autobiografie. Doch das Kapitel mit dem größten Potenzial fehlt darin - noch. Erst vor einigen Monaten hat US-Präsident Donald Trump Khalilzad zum Sondergesandten für Afghanistan ernannt. Mit einem Auftrag: Der gebürtige Afghane soll den längsten Kriegseinsatz der amerikanischen Geschichte beenden. So schnell wie möglich.

Darüber verhandelt Khalilzad nun mit den Taliban in Doha. Für die Islamisten führt ihr Mitbegründer Mullah Abdul Ghani, genannt Mullah Baradar, seit Montag die Gespräche. Die beiden Herren trafen sich zu einem "Arbeitsessen", wie Khalilzad im Kurznachrichtendienst Twitter bekannt gab. Es sei das erste Mal gewesen, dass sie zusammenkommen.

Die Afghanen verfolgen all das mit Sorge. Ihre eigene Regierung sitzt nicht mit am Verhandlungstisch

Der Friedensdialog hat Fahrt aufgenommen. Viele Menschen in Afghanistan verfolgen das gebannt, aber mit Sorge. Denn am Verhandlungstisch sitzen Amerikaner und Taliban, nicht aber die afghanische Regierung. Die Taliban weigern sich, mit Präsident Ashraf Ghani zu reden. Die Islamisten sind so mächtig, dass sie auf Augenhöhe mit Khalilzad sprechen. Der betont zwar, afghanische Interessen zu berücksichtigen. Doch Präsident Ghani, ist in Kabul zu hören, hat wenig Vertrauen in den US-Unterhändler Khalilzad. Es sei offensichtlich, dass amerikanische Interessen die Verhandlungsstrategie dominierten.

Bei den bilateralen Gesprächen geht es vordergründig um zwei Fragen: Wann ziehen die US-Truppen ab? Und wie können die Taliban im Gegenzug garantieren, dass von afghanischem Boden nicht wieder eine terroristische Gefahr ausgeht, die in Anschläge wie dem am 11. September 2001 mündet? Öffentlich sagt Khalilzad, dass nichts entschieden sei, bis es eine umfassende Lösung gibt - eine, die auch für die Afghanen zufriedenstellend ist.

Aber aus gut unterrichteten Quellen in Kabul heißt es: Khalilzad soll den Deal mit den Taliban so schnell wie möglich hinbekommen, und die Islamisten seien inzwischen gar nicht mehr so erpicht darauf, dass die USA komplett aus Afghanistan abziehen. Denkbar ist demnach, dass die Taliban am Ende des Verhandlungsprozesses zwar einen öffentlichkeitswirksamen Abzug der meisten US-Truppen verkünden dürfen, aber einige amerikanische Spezialkräfte bleiben, um Terroristen davon abzuhalten, das Land wieder als Basis zu nutzen. Damit wäre Amerikas letztes strategisches Ziel erreicht. Für dieses Zugeständnis sollen nach derzeitiger Lesart der Verhandlungen die Taliban eine Machtbeteiligung in Afghanistan erhalten, ohne sich in Wahlen dem Willen des Volkes stellen zu müssen. Verfestigt sich diese Entwicklung, würden Amerikas Sicherheitsinteressen über demokratische Errungenschaften in Afghanistan gestellt. Entschieden ist das bislang nicht, aber auch nicht ausgeschlossen.

Wie auch immer eine Verhandlungslösung ausfällt - kommt es zum Friedensschluss, wäre Khalilzad, 67, ein Eintrag in den Geschichtsbüchern sicher. Er wurde in der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif geboren, besuchte in der Hauptstadt Kabul eine Eliteschule und war im Basketball so begabt, dass er den Sprung in die afghanische Nationalmannschaft schaffte. Schon als Schüler verbrachte Khalilzad ein Jahr in den USA, später studierte er erst an der American University in Beirut und schließlich in Chicago, wo er im Jahr 1979 promovierte. Im selben Jahr marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein. Seitdem ist das Land von einem Krieg nach dem anderen erschüttert worden. Khalilzad blieb in den USA, wurde amerikanischer Staatsbürger und schlug eine politische Karriere ein. Er sprach sich dafür aus, die Mudschahedin gegen die sowjetische Armee mit Luftabwehr-Raketen auszustatten - einer der zentralen Gründe für die Niederlage der Russen in Afghanistan.

Während sein Heimatland Anfang der Neunzigerjahre in einen Bürgerkrieg abdriftete und dann von den Taliban regiert wurde, machte Khalilzad im neokonservativen Zirkel um Paul Wolfowitz Karriere. Hier wurde das außenpolitische Manifest des späteren Präsidenten George W. Bush ausgearbeitet: Amerika verstand sich damals noch als globale Ordnungsmacht und hatte sich dem weitgehend erfolglosen Demokratieexport verschrieben - wie die Kriege in Afghanistan und mehr noch im Irak belegen. Khalilzad war unter Bush US-Botschafter in Kabul, Bagdad und bei den Vereinten Nationen. Als Barack Obama ins Weiße Haus einzog, wurde es stiller um ihn. Aber nun schlägt noch einmal die große Stunde des Diplomaten. Er gilt als ruhiger und zäher Verhandler, ist in Afghanistan gut vernetzt. Den Ex-Präsidenten Hamid Karsai kennt er noch aus gemeinsamen Zeiten in den USA. Mit Ghani hat er einst in Beirut studiert, aber im Moment verfolgen sie unterschiedliche Interessen.

Khalilzad sitzt dieser Tage Mullah Baradar gegenüber, dessen Wort bei den Taliban Gewicht hat

Khalilzad sitzt dieser Tage mit Mullah Baradar an einem Tisch, ein Mann, dessen Wort bei den Taliban großes Gewicht hat, auch wenn die Islamisten kein einheitlicher Block sind. Er war einst Mitgründer der Miliz und viele Jahre der Stellvertreter des unumstrittenen Anführers Mullah Omar, der 2013 gestorben ist. Taliban-Kenner beschreiben Baradar als gemäßigt. Im Jahr 2010 hatte der pakistanische Geheimdienst ihn in der Hafenstadt Karatschi verhaftet. Es hieß, Islamabad wollte einen Friedensprozess torpedieren, denn Baradar galt schon damals als gesprächsbereit. Aber die USA stuften die Taliban zu dieser Zeit noch als Terroristen ein, mit denen nicht verhandelt werden dürfe. Neun Jahre später hat sich die Einstellung gewandelt, weil sich der Konflikt militärisch nicht mehr lösen lässt.

Präsident Ghani, der die Gespräche in Doha nur als Zuschauer verfolgt, will im März eine große Versammlung abhalten, um sich ein breites gesellschaftliches Mandat für den Umgang mit den Taliban zu holen. Er will das Heft des Handelns zurückerobern. Ghani, heißt es in Kabul, kämpfe um seine politische Zukunft. Khalilzad hingegen kämpft um Amerikas gesichtswahrenden Abschluss eines Krieges, der mehr als 17 Jahre andauert. Vieles deutet darauf hin, dass die Männer mit der gemeinsamen Vergangenheit ihre Ziele im Moment nicht in Einklang bringen können.

© SZ vom 26.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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