Afghanistan:Der Krieg ist näher als der Frieden

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Nach einem Taliban-Angriff auf eine Geburtsstation erklärt der Präsident die defensive Haltung der Armee für beendet.

Von Tobias Matern, München

Nach dem Angriff auf eine Geburtsstation in Kabul ist der afghanische Friedensprozess zum Erliegen gekommen. Die Taliban seien dafür verantwortlich, dass die Aussöhnung nicht vorankomme, sagte Präsidentensprecher Sediq Sediqqi am Mittwoch. Bei der Attacke am Dienstag waren mindestens 24 Menschen gestorben. Der Angriff richtete sich gegen Mütter und ihre neugeborenen Kinder. Bei einem Selbstmordanschlag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Osten des Landes starben Dutzende weitere Menschen.

Präsident Aschraf Ghani erklärte, er habe die Streitkräfte angewiesen, von nun an ihre defensive Haltung aufzugeben. Gleichzeitig bot er den Taliban aber erneut eine Waffenruhe an. Die Islamisten bestritten, an der Attacke in Kabul beteiligt gewesen zu sein und nannten Ghanis Ankündigung, wieder in die Offensive gehen zu wollen, eine "Kriegserklärung".

Ende Februar hatten sich die USA und die Taliban in Doha auf einen Friedensprozess für Afghanistan geeinigt. Der im Jahr 2001 begonnene westliche Einsatz soll demnach unter Bedingungen schrittweise bis April 2021 beendet werden. Im Gegenzug sollen die Taliban Sicherheitsgarantien abgeben und ihren Teil dazu beitragen, dass von Afghanistan keine Terrorgefahr mehr ausgehen werde. Diese Vereinbarung ist als Grundlage für einen innerafghanischen Friedensprozess gedacht, denn in Doha durfte die Regierung Ghani auf Geheiß der Taliban nicht mit am Tisch sitzen. Doch die afghanischen Gespräche sind seither nicht wie gewünscht in Gang gekommen, was auch mit der chaotischen Lage in Kabul zusammenhängt: Ghanis politischer Rivale Abdullah Abdullah lässt sich, anders als in der letzten Amtszeit, nicht in die Regierung integrieren. Er macht gegen den Präsidenten Front, die zentralen politischen Akteure in Afghanistan ziehen also auch im Bemühen um eine Aussöhnung mit den Taliban nicht an einem Strang. Das Zerwürfnis zwischen Abdullah und Ghani sei "törricht, aber tief verwurzelt", sagte der Afghanistan-Kenner Ahmed Rashid der SZ am Mittwoch. Abdullah werde sich dieses Mal nicht mit dem zweiten Platz zufrieden geben. Er akzeptiert nach wie vor nicht das offizielle Ergebnis, das Ghani als erneuten Sieger der Präsidentschaftswahl ausgewiesen hatte. Ghani beharre zudem darauf, dass die Taliban der zentrale Feind seien, sagte Rashid, obwohl sich der "Islamische Staat" zu den jüngsten Attacken bekannt habe. Der Analyst zeichnete eine düstere Perspektive für die Zukunft Afghanistan "Letztlich könnte es eine Übereinkunft geben, die US-Präsident Donald Trump zufriedenstellt, damit er noch vor der Wahl in den USA aus Afghanistan herauskann." Aber angesichts der fragilen Situation in Kabul würde so ein Abkommen "sofort kollabieren, wenn die USA das Land verlassen", sagte Rashid.

Die Menschen in Afghanistan fürchten sich davor, dass die westlichen Truppen noch einen faulen, innerafghanischen Kompromiss überwachen und dann sofort abziehen. Sie haben noch den letzten Abzug einer ausländischen Großmacht und die direkten Folgen in Erinnerung: Als die Sowjetunion 1989 das Land verließ, dauerte es nicht lange, bis ein Bürgerkrieg ausbrach, den die Taliban mit ihrer Machtübernahme beendeten.

© SZ vom 14.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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