Afghanistan:Blitzbesuch mit Tücken

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Ein Afghane sichert nach einem Anschlag den Flughafen von Kabul. Nun wollen die USA verstärkt helfen. (Foto: Jawad Jalali/dpa)

Die unangekündigte Reise von US-Außenminister Rex Tillerson nach Zentralasien und Indien zeigt, wie kompliziert es ist, Afghanistan zu befrieden.

Von Tobias Matern, München

Keiner sollte vorher von diesem Besuch wissen. Das ist in Afghanistan wegen der schlechten Sicherheitslage eigentlich immer so, aber normalerweise besuchen Minister und Regierungschefs Präsident Ashraf Ghani in Kabul. Aber auch das war bei dieser Visite anders: US-Außenminister Rex Tillerson kam ohne Vorankündigung an den Hindukusch, das Gespräch mit Ghani fand auf der streng abgeriegelten Militärbasis Bagram statt. Der Außenminister wollte offenbar aus den Erfahrungen von Verteidigungsminister James Mattis lernen: Als dieser vergangenen Monat nach Kabul kam, feuerten die Taliban während seines Besuchs zahlreiche Raketen auf den Flughafen ab.

Nachdem sich die Regierung von US-Präsident Donald Trump viel Zeit gelassen hat, ihre neue Strategie für Afghanistan zu präsentieren, sind Washingtons Vorstellungen nun klar umrissen: Die Amerikaner, anders als einige Verbündete befürchtet hatten, wenden sich keineswegs Hals über Kopf von Afghanistan ab. Trumps Regierung hat hier den längsten Kriegseinsatz der US-Geschichte geerbt, offenbar will der Präsident den unpopulären Einsatz auch vernünftig über die Bühne bringen.

Tillerson: Es gibt auch Taliban, die nicht für immer mit dem Kämpfen weitermachen wollen

Tillersons Blitzbesuch in Afghanistan - mit anschließenden Reisen nach Pakistan und Indien - verdeutlicht, dass die USA neben der militärischen Aufstockung von 9500 auf 13 500 Soldaten am Hindukusch auch wieder auf klassische Diplomatie setzen. Washington will den erlahmten Friedensprozess mit den Aufständischen in Gang bringen. "Es gibt, glauben wir, moderate Stimmen unter den Taliban, Stimmen, die nicht für immer mit dem Kämpfen weitermachen wollen", formulierte Tillerson die Hoffnung, Vertreter der Islamisten in Kabul politisch einbinden zu können. Die Taliban reagierten darauf jedoch, wie sie in den vergangenen Jahren immer reagiert haben: Ein Sprecher der Islamisten erklärte, Grundlage für Verhandlungen mit der Kabuler Regierung sei ein Komplettabzug der ausländischen Truppen. Eine Forderung, auf die sich Präsident Ghani nicht einlassen kann, braucht er die Schutzmacht doch, damit seine Truppen nicht gegen die Aufständischen verlieren.

Die verstärkte Militärpräsenz der Amerikaner ist nach Angaben von Beobachtern in Afghanistan bereits spürbar: Die USA hätten in den vergangenen Wochen ihre Luftschläge und die Unterstützung afghanischer Truppen deutlich erhöht, sagte der Kabuler Analyst Haroun Mir der SZ. Auch war in der New York Times zu lesen, dass die CIA den afghanischen Sicherheitskräften bei der Jagd auf Taliban-Kämpfer wieder vermehrt helfen werde. Die Islamisten reagierten auf den militärischen Druck mit ihrer asymmetrischen Kriegsführung - sie verstärkten die Anschläge aus dem Hinterhalt. Allein in der vergangenen Woche fielen diesen Attacken nach örtlichen Medienangaben mindestens 200 Menschen zum Opfer. Was neben der militärischen Aufstockung die diplomatischen Bemühungen in der Region angehe, werde es "interessant zu sehen sein, mit welchen Mitteln die Amerikaner Pakistan unter Druck setzen werden", sagte Haroun Mir.

Nach Islamabad reiste Tillerson am Dienstag, um den Premierminister, Außenminister und den Armeechef zu treffen. Er wollte sie mit einem wieder verstärkt vorgebrachten Washingtoner Vorwurf konfrontieren: Pakistan unterstütze die afghanischen Taliban, gewähre ihnen Rückzugsräume. Doch Tillersons Einfluss ist begrenzt - ohne pakistanische Hilfe wird es in Afghanistan keinen Frieden geben. Pakistan weist zwar den Vorwurf, mit den Taliban zu kooperieren, offiziell zurück, hinter vorgehaltener Hand wird aber eingeräumt, alte Kontakte zu den Islamisten ließen sich nutzen, um Friedensgespräche in Afghanistan anzubahnen.

Die USA arbeiteten gemeinsam mit Pakistan daran, "den Terroristen in der Region sichere Rückzugsgebiete zu verweigern, formulierte es Tillerson diplomatisch. Trump hatte sich da unlängst deutlich offensiver geäußert und Pakistan Konsequenzen angedroht, sollte es nicht in seinem Sinne kooperieren. Der Frust in Washington über das Doppelspiel des undurchschaubaren Verbündeten Pakistan sitzt tief. Einerseits will Islamabad Partner Washingtons sein,andererseits verfolgt es im Afghanistan-Konflikt eigene Interessen, die den USA diametral zuwiderlaufen.

Mit Argwohn verfolgen die Pakistaner den nächsten Stopp des Reisediplomaten Tillerson: Der Außenminister wollte nach seinem Halt in Islamabad direkt weiter nach Indien reisen, um mit der Regierung in Delhi über ein stärkeres Engagement in Afghanistan zu reden. Dort traf Afghanistans Präsident Ghani bereits am Dienstag mit Premierminister Narendra Modi zusammen - ein klares Zeichen für das Bemühen, Indien als regionale Macht intensiver einzubinden. Doch aus pakistanischer Sicht bedeutet diese Linie, "Öl ins Feuer zu gießen", wie es ein Vertrauter des pakistanischen Premierministers der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Indien, Pakistans Erzfeind, habe im Afghanistan-Konflikt "keine Rolle zu spielen".

Tillersons Reise und die regionalen Verstrickungen zeigen: Auch wenn die USA sich nun wieder verstärkt um Afghanistan und die Region bemühen - ein Ende des längsten amerikanischen Kriegseinsatzes ist noch nicht in Sicht.

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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