AfD-Parteitag in Erfurt:Der kalte Blick der Technokraten

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AfD-Bundesparteichef Bernd Lucke erhielt beim Parteitag eine demokratische Ohrfeige. (Foto: dpa)

Zu Beginn ihres Parteitags zerlegt sich die AfD beinahe selbst. Am Ende offenbart sie eine wichtige Erkenntnis: Für plumpen Rechtspopulismus gibt es keine Anzeichen - dafür ist die eigentliche, erschreckende Leerstelle dieser Partei leicht zu erkennen. Die AfD tut so, als gebe es keine menschliche Komponente in der Politik.

Ein Kommentar von Jens Schneider, Erfurt

Am Anfang stand das Chaos. In den ersten Stunden ihres Bundesparteitags in Erfurt quälte die eurokritische Alternative für Deutschland (AfD) sich selbst. In stundenlangem Streit über eine neue Satzung wurde mithilfe unzähliger Anträge zur Geschäftsordnung und unangenehm persönlich gefärbten Attacken gekämpft. Es war die Stunde der Paragrafenreiter, der Rechthaber. Von denen gibt es viele in der AfD. Aber es war auch die Stunde kompromissloser Demokraten. Man drehte sich im Kreis. Wäre es so weitergegangen, hätte Erfurt den Anfang vom Ende der jungen Partei einleiten können. Die selbsterklärte Partei der Besserwissenden hätte an zu viel Besserwisserei in den eigenen Reihen scheitern können.

Doch das Chaos löste sich auf, am Ende stand eine schlichtweg demokratische Ohrfeige für den Parteigründer Bernd Lucke. Die Basis machte dem dominanten Professor klar, dass sie ihm nicht ohne Weiteres noch mehr Machtfülle einräumen will. Dass sie anschließend seine Rede feierte und schnell in inhaltliche Debatten einstieg, ist Ausdruck beachtlicher Reife.

Die AfD diskutierte ernsthaft und fundiert über ihr Europa-Programm - offen und bis zur Erschöpfung basisdemokratisch. Vor dem Parteitag war - auch von Mitgliedern der AfD - viel vor düsteren Entwicklungen gewarnt worden. Von einer Dominanz bibeltreuer Christen und eines antiliberalen nationalkonservativen Flügels war zu hören. Richtig ist, dass sich in Landesverbänden solche Kräfte breitmachen. Da gibt es eklige Fehden und schräge Töne. Das war auch in Erfurt zu spüren.

Auch Mitglieder verzweifeln ob der Herzlosigkeit

Der Parteitag wurde bestimmt von liberalen, konservativen Standpunkten, die - typisch AfD - für sich beanspruchten, sachlich und wissenschaftlich fundiert zu sein. Aber für plumpen Rechtspopulismus gab es keine Anzeichen. Es ist wichtig, diese beiden Erkenntnisse aus Erfurt zu akzeptieren und zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Defiziten der AfD zu kommen. Die Partei wird sich erstens nicht selbst zerlegen. Der Mainstream ist diszipliniert bürgerlich und weiß das zu verhindern. Die AfD lässt sich zweitens nicht erledigen, indem man sie als plump rechtspopulistisch abkanzelt.

Drittens aber ist die eigentliche, erschreckende Leerstelle dieser Partei leicht zu erkennen. In Erfurt ist sie in den Debatten so offensichtlich gewesen, dass auch Mitglieder ob dieser Herzlosigkeit verzweifelten: Die Partei tut so, als gebe es keine menschliche Komponente in der Politik, sie verzichtet technokratisch auf Empathie und Einfühlung. Die AfD sieht sich als Partei des "gesunden Menschenverstands". Sie meint, das richtige Ergebnis werde sich schon durchsetzen, wenn man nüchtern eins und eins zusammenzählt. Es geht um Berechnung, um Nützlichkeit.

Das ist kalt, ohne den Blick auf die Menschen

Diese Haltung zieht sich durch das Programm, sie prägt die Sprache von Parteichef Lucke, ob er nun über das Drama in den Krisenländern in Europas Süden oder über Sozialpolitik in Deutschland spricht. Menschen spielen nur als Faktor eine Rolle. So versteigt sich die AfD schnell in technokratische Zuspitzungen und verliert, auch in der Euro-Debatte, ihrem Kernthema, berauscht von ihren Zahlenkolonnen den Kontakt zur Realität und zu den Nöten und Anliegen der Menschen.

Als Lehrstück beklemmend geriet so die Debatte zur Lage in der Ukraine. Da wurde mit historischer Expertise über den Umgang mit Russland debattiert. Die Mehrheit lehnte Sanktionen gegen Moskau ab. Redner zeigten großes Verständnis für Präsident Wladimir Putin. Ausgiebig wurde das Machtgefüge analysiert und vor einem neuen Kalten Krieg gewarnt. Dass in der Ukraine Menschen um ihre Freiheit bangen, spielte für die wenigsten eine Rolle. Das ist kalt, ohne den Blick auf die Menschen. Das ist AfD.

© SZ vom 24.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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