Äthiopien:Einmarsch in Mekele

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Ein UN-Lager an der Grenze zum Sudan. Dorthin flüchteten bereits mehr als 40 000 Äthiopier. (Foto: BAZ RATNER/REUTERS)

Äthiopiens Militär nimmt die Hauptstadt der abtrünnigen Region Tigray ein. Das könnte jedoch nur ein vorübergehender Erfolg sein.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

"Ich freue mich, mitteilen zu können, dass wir die militärischen Operationen in der Region Tigray beendet haben", teilte Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed am Samstagabend mit. "Wir werden uns nun darauf konzentrieren, die Region wieder aufzubauen und humanitäre Hilfe zu leisten." Es ist ein erstaunlicher Erfolg für Abiy. Etwas mehr als drei Wochen nach dem Beginn der Militäraktionen im Norden Äthiopiens konnte die Bundesarmee am Samstagabend Mekele einnehmen, die Hauptstadt der abtrünnigen Region Tigray. Da Telefon- und Internetverbindungen in der Krisenregion gekappt sind, gab es keine überprüfbaren Informationen über Todesopfer und Schäden in der Stadt. Einige Anwohner hatten am frühen Morgen über Satellitentelefone davon berichtet, dass die Stadt mit schwerer Artillerie beschossen werde, was die Regierung jedoch bestritt. "Wir sind in Mekele vorgerückt, ohne dass unschuldige Zivilisten Ziele waren", sagte Ministerpräsident Abiy.

Er hatte in den vergangenen Wochen die Offensive trotz massiver internationaler Proteste fortgesetzt und sie damit begründet, dass zuvor jegliche Schlichtungsversuche an der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) gescheitert seien. Die TPLF war jahrzehntelang die dominante Kraft in der äthiopischen Politik. Mit dem Amtsantritt Abiys 2018 verloren viele ihrer Vertreter ihre führenden Positionen in Politik und Wirtschaft. Der Konflikt eskalierte weiter, als die Region im September Regionalwahlen abhielt, obwohl diese wegen des Coronavirus abgesagt worden waren. Anfang November sollen schließlich TPLF-Milizen einen Stützpunkt der Bundesarmee angegriffen und dabei Waffen erbeutet haben.

Die TPLF-Milizen "werden mit ihren Überzeugungen sterben", sagte ihr Anführer

Abiy sagte am Samstag, die damals als Geiseln genommenen mehrere Tausend Soldaten seien mit dem Einmarsch in Mekele ebenfalls befreit worden. Nun sei es Sache der Polizei, die flüchtige "TPLF-Clique" festzunehmen. Deren Führer Debretsion Gebremichael meldete sich noch am Samstag bei der Nachrichtenagentur Reuters und kündigte an, den Kampf fortzusetzen. "Wir kämpfen um unser Recht auf Selbstbestimmung", sagte Debretsion. "Abiy wird keine TPLF-Mitglieder festnehmen. Sie werden mit ihren Überzeugungen sterben. Wir werden kämpfen, solange sie in unserem Land sind."

Viele Beobachter befürchten, dass die Einnahme von Mekele nur ein vorübergehender Erfolg ist, sich die TPLF in die gebirgige Hochebene zurückziehen und dort einen Guerilla-Kampf gegen die Bundesarmee führen wird. Am Samstag schoss sie sechs Raketen auf Asmara, die Hauptstadt des Nachbarlandes Eritrea, dem die TPLF vorwirft, mit Abiy zu kooperieren. "Das ist nur der Beginn eines weiteren Aufstands in Tigray, der dieses Mal nicht um regionale Autonomie geführt wird, sondern um komplette Unabhängigkeit", sagt Alemayehu Weldemariam von der Universität Texas, der selbst aus Tigray stammt.

Äthiopiens Verfassung von 1995 gibt den verschiedenen Volksgruppen und zehn Regionen des Landes große Autonomie. Der Ministerpräsident sieht den "ethnischen Föderalismus" aber als Ursache für viele Verteilungskonflikte und möchte eine gesamtäthiopische Identität schaffen und die Autonomie der Regionen beschneiden. Die ist für viele Völker aber eine historische Errungenschaft. Die TPLF wurde 1975 von einer Handvoll Freiheitskämpfer gegründet und wuchs über die Jahre auf viele Zehntausend Mitglieder an, die 17 Jahre lang gegen das kommunistische Regime in der Hauptstadt Addis Abeba kämpften und es schließlich stürzten. Die TPLF übernahm die wichtigsten Posten in der Regierung und dominierte die äthiopische Politik fast drei Jahrzehnte. Viele ihrer ehemaligen Freiheitskämpfer wurden selbst zu Unterdrückern, sind für schwere Menschenrechtsverletzungen und ausufernde Korruption verantwortlich. Am Samstag feierten in der Hauptstadt auch deshalb viele den Sieg über die TPLF, die in der Region Tigray aber noch massiven Rückhalt genießt.

Sie soll bis zu 250 000 Milizen unter Waffen haben, eine Angabe, die nicht überprüft werden kann. Ihre Sprecher beginnen bereits mit der Propaganda, die Parallelen zieht zum Befreiungskampf gegen das kommunistische Regime. Allerdings sind die Voraussetzungen heute anders: Die TPLF kann sich nicht mehr auf die Unterstützung der Nachbarländer verlassen, die Grenzen zum Sudan und zu Eritrea sind geschlossen, Nachschubwege blockiert. Die Führung der TPLF besteht zudem aus mittlerweile ergrauten ehemaligen Kämpfern, die schon jahrzehntelang in schönen Apartments leben, nicht mehr in Höhlen in den Bergen.

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