Ärztetag:"Freud würde sich im Grabe herumdrehen"

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Ulrich Montgomery eröffnete zum letzten Mal den Ärztetag als Präsident. (Foto: Guido Kirchner/dpa)

Montgomery nennt die neue Therapeuten-Ausbildung einen Etikettenschwindel.

Von Kristiana Ludwig, Münster

Es gibt Feindschaften, die halten. In seiner Eröffnungsrede des Deutschen Ärztetags wollte sich der scheidende Präsident Ulrich Montgomery deshalb in diesem Jahr mal wieder den Psychotherapeuten widmen, und zwar denjenigen ohne Doktortitel. Das "völlig überflüssige Gesetz" für eine neue Psychotherapeuten-Ausbildung sei ein Beispiel für eine "Deprofessionalisierung" des Gesundheitswesens, rief er in die Halle Münsterland. Dort saß am Dienstag schließlich, zwischen den Ärztefunktionären, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er arbeitet gerade an einem Studiengang, der junge Therapeuten günstiger und spezialisierter ausbilden soll - aber eben ohne das klassische Medizinstudium. "Der Arzt Sigmund Freud würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er diese Entwicklungen mitbekäme", sagte Montgomery. Spahn plane einen "grandiosen Etikettenschwindel".

Auch in dem Leitantrag, der später die Debatte der Ärzte eröffnete, warnte der Vorstand der Bundesärztekammer vor einer "Entwertung des Arztberufes". Dass mehr Verantwortung in die Hände von psychologischen Therapeuten oder Apothekern gelegt würde, werde "strikt zurückgewiesen", heißt es hier. Montgomery hatte Spahns Idee, Apotheken zu erlauben, ihre Kunden zu impfen, ebenfalls stark kritisiert. Nur ein Arzt könne Patienten vor der Impfung untersuchen und bei Zwischenfällen gleich behandeln, sagte er.

Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Dietrich Munz, sagt, die Vorbehalte der Ärzte hätten mit "Standesdenken" zu tun: "Ärzte tun sich sehr schwer mit anderen Berufen", sagte er. Dabei verlange ein Gesundheitssystem "zum Wohle des Patienten" eine "multiprofessionelle Kooperation und Kollegialität". Auch der Gesundheitsminister bat um eine konstruktive Debatte. Und Markus Lewe, der gastgebende Oberbürgermeister, fügte hinzu, Münster sei doch die Stadt des Westfälischen Friedens. Möglicherweise helfe das auch bei diesem "Kleinkrieg".

Spahn war von den Ärzten zunächst mit Buhrufen empfangen worden. Sie kritisierten ihn unter anderem wegen seines hohen Tempos bei der Gesetzgebung. Spahn erwiderte, in der Digitalisierung sei eben eine gewisse Eile nötig. Internetkonzerne wie Google und Amazon investierten längst in den Gesundheitsbereich, auch China sei hier aktiv. "Wir sind hier in einem Wettbewerb der Systeme", sagte er. Deshalb müssten deutsche Ärzte und Server selbst Datensicherheit gewährleisten. Spahn will nach jahrelangem Gezerre um die elektronische Gesundheitskarte bis 2021 Fortschritte erreichen.

Mehrere Ärzte kritisierten dennoch in der anschließenden Debatte den Datenschutz elektronischer Patientenakten. Sie forderten außerdem, gesundheitspolitische Debatten wieder stärker selbst zu bestimmen, statt sich vom Minister treiben zu lassen. Sie klagten auch über eine zunehmenden Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. "Im ambulanten Bereich rücken zunehmend ambulante ärztliche Einrichtungen in den Fokus fachfremder Investoren und Spekulanten", mahnte Montgomery. Diese zögen ihre Gewinne aus dem System, zulasten der Patienten und ihrer Helfer.

Am Mittwoch will der Ärztetag deshalb auch über Arbeitsbelastung und Burn-out bei den Medizinern diskutieren. Die Präsidentin der Landesärztekammer Niedersachsen, Martina Wenker, forderte wie die Ärztegewerkschaft Marburger Bund Arbeitsschutz-Regelungen, welche eine Erholung tatsächlich ermöglichen. Wenker kandidiert so wie der Berliner Günther Jonitz, der bayerische Kammerpräsident Gerald Quitterer und der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, für die Nachfolge von Ulrich Montgomery. Am Donnerstag werden die Ärzte wählen. Würde Wenker gewinnen, wäre sie die erste weibliche Präsidentin der Bundesärztekammer überhaupt. "Liebe Kolleginnen", sagte eine Rednerin am Dienstagnachmittag, "habt ihr mitgezählt, wie viele Kolleginnen heute auf der Bühne waren? Eine, mit Klarinette."

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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