Ägyptische Frauen ein Jahr nach der Revolution:"Wir waren so naiv"

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508 Männer, fünf Frauen: Ägypten hat sein erstes frei gewähltes Parlament seit dem Sturz des Mubarak-Regimes. Ein Jahr nach den Protesten auf dem Tahrir-Platz bewegt sich etwas im Land. Doch für die Frauen bedeutet die Wahl einen Rückschritt - nie waren sie in der Politik so marginalisiert wie heute. Doch es gibt Hoffnung. Zwei Ägypterinnen berichten.

Raimon Klein

Bei der Eröffnungszeremonie des ersten frei gewählten Parlaments seit 1954 feierte Ägypten sich selbst. Aber etwas stimmt nicht an dem Bild dieses neuen Ägyptens: Die Abgeordneten - es sind fast ausschließlich Männer. Nur fünf der 508 Parlamentarier sind Frauen. Das sind weniger als ein Prozent. Dabei standen die ägyptischen Frauen während der Proteste auf dem Tahrir-Platz, die genau vor einem Jahr begannen, stets an vorderster Front.

Weder Verhaftungen noch Prügel oder Folter konnten sie einschüchtern. Was sich jedoch nach dem Abgang von Präsident Hosni Mubarak mit der Zusammensetzung des Übergangsrates bereits abgezeichnet hatte, ist nach den Parlamentswahlen Gewissheit geworden: Die ägyptische Gesellschaft will offenbar nicht von Frauen regiert werden.

"Wir waren so naiv zu glauben, dass sich allein mit dem Regierungswechsel etwas ändern würde. Wir waren so glücklich darüber, dass die alte Regierung abtritt, dass wir nicht aufmerksam genug waren", sagt Salma Hegab im Gespräch mit Süddeutsche.de. Das Ergebnis der Wahlen beurteilt die Studentin, Aktivistin und Bloggerin jedoch pragmatisch - das gewählte Parlament entspreche dem, was das ägyptische Volk wolle. Auch Noha Atef, eine in Großbritannien lebende ägyptische Journalistin, sieht die Rolle der Frauen im Parlament selbstkritisch: "Sie hatten das Recht, sich als Kandidatinnen aufstellen und vom Volk wählen zu lassen", sagt die 26-Jährige.

Soziale Stellung als größtes Problem

Eine Quote für weibliche Abgeordnete, wie es sie unter Mubarak gab, lehnen sowohl die Aktivistin als auch die Journalistin ab. "Wir wollen nicht als Minderheit behandelt werden, Frauen sollen im Parlament sitzen, weil man sie dorthin gewählt hat, weil man sie dort wirklich will", so Salma Hegab. Ganz zu schweigen davon, dass die Quoten-Plätze früher ausschließlich an Mubarak-Anhänger gegangen waren, wie Journalistin Atef anmerkt.

Die Aktivistin Hegab kann dem Wahlergebnis auch etwas Positives abgewinnen. Nun würden die wahren Konturen der ägyptischen Gesellschaft sichtbar: "Früher wurde alles totgeschwiegen, jetzt kann man die Probleme an der Wurzel packen."

Das Problem der sozialen Stellung der Frauen ist tief in der ägyptischen Gesellschaft verwurzelt. Im "Global Gender Gap Report 2011" des Genfer Weltwirtschaftsforums, das Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen bewertet, belegt Ägypten nur Rang 125 von 134 untersuchten Staaten. Während der Proteste gegen die Regierung wurden demonstrierende Frauen verhaftet und in den Gefängnissen gefoltert. Ägyptische Soldaten quälten die Frauen mit entwürdigenden Jungfäulichkeitstests. Samira Ibrahim Mohamed, das erste Opfer, das sich an die Öffentlichkeit wagte, gab später an: "Ich wollte sterben. Es war wie Vergewaltigung."

Jungfäulichkeitstests sind inzwischen per Gerichtsurteil verboten, die alltägliche Belästigung von Frauen im öffentlichen Raum hingegen bleibt. Mit harassmap.org gibt es mittlerweile auch eine Internetseite, die Frauen ermöglicht, Belästigungen publik zu machen und zu beschreiben, wo ihnen was passiert ist. Eine Karte zeigt die Stellen im Land, in denen sexuelle Belästigung besonders häufig passiert. Einer der Hotspots: der Tahrir-Platz in Kairo.

Für die Aktivistin Salma Hegab ist das nichts Neues: Sexuelle Belästigung von Frauen gebe es in Ägypten schon seit Jahren und überall, auch auf dem Tahrir-Platz, begangen durch männliche Demonstranten. Und die Reaktion ist häufig dieselbe: Den Frauen wird selbst die Schuld zugewiesen. Mit ein Grund dafür sei der Islam, sagt Hegab vorsichtig, denn eigentlich will sie der Religion nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Doch wegen der Vorschrift, dass Frauen sich sittsam kleiden sollen, werde jeder Verstoß sofort als ketzerisch angesehen - nach dem Motto: "Schau an, was diese Frau trägt - kein Wunder, dass ihr das passiert ist."

Für die bis 2010 in Ägypten lebende Noha Atef stellt sich die Lage der Frauen dagegen nicht so düster dar: "Wir sollten dieses traditionelle Bild von der bedauernswerten arabischen Frau aufgeben", sagt sie. Wenn Frauen tatsächlich keine Macht hätten, hätten sie keinen so großen Teil zur Revolution beitragen können." Die Frauen mögen im Parlament noch nicht angemessen vertreten sein. Allerdings: "Auf der Straße sind Frauen politisch aktiv und nehmen das Heft in die Hand."

Mehr Bewusstsein, Bildung und Respekt

Der Arabische Frühling hat für die Ägypterinnen auch etwas Positives. Denn immerhin gibt es mittlerweile eine öffentliche Diskussion über die Rechte der Frauen in Ägypten, es sei ein Bewusstsein für diese Probleme entstanden. Neben Bildung und Erziehung ist diese Erkenntnis für Salma Hegab der wichtigste Punkt beim Kampf für die Rechte der ägyptischen Frauen.

Journalistin Atef sieht die Armut als dringendstes Problem. Sie glaubt, mit einer wirtschaftlichen Verbesserung werde es allen besser gehen - und damit auch den Frauen. Bloggerin Hegab nimmt die im Ausland misstrauisch beäugten Wahlsieger der Muslimbrüder und Salafisten in die Pflicht. "Wir brauchen eine faire Regierung, die den Wünschen des Volkes nachkommt."

Abschließend wagt die 20-Jährige noch einen Blick in die Zukunft: "Erst wenn es genug Bewusstsein, Bildung und Respekt für die Frauen gibt, werden auch Frauen ins Parlament gewählt. Dann geht es nicht darum, von einer Frau repräsentiert zu werden, sondern um die Sache an sich."

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