Ägypten nach Mubarak:"Wir fordern die Revolution zurück"

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Die Militärs manipulieren und taktieren - und das Volk fürchtet um den Erfolg der Revolution. Es geht wieder auf die Straße und erzwingt eine Wahlrechtsänderung. Doch ist das wirklich ein Erfolg? Warum im Nach-Mubarak-Ägypten die Lage so verworren ist - und sogar ein abrupter Seitenwechsel des mächtigsten Mannes denkbar scheint.

Tomas Avenarius, Kairo

"Wir fordern die Revolution zurück!" skandierten die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz - und schrien noch einige andere Slogans hinterher. Die Ägypter sind erneut auf der Straße, und diesmal geht es ihnen nicht um den Sturz eines Diktators. Sondern um eine rasche Präsidentenwahl und ein sauberes Wahlgesetz. Um ein repräsentatives Parlament. Um die Aufhebung der Notstandsgesetze und das Ende einer Militärgerichtsbarkeit, die oppositionelle Zivilisten aburteilt. Um die konsequente Verfolgung und Verurteilung der Köpfe und der Strippenzieher des Mubarak-Regimes, deren Prozesse sich hinziehen.

Feldmarschall Tantawi steht an der Spitze des Obersten Militärrats, der seit dem Sturz Mubaraks die Geschäfte in Ägypten führt. (Foto: AP)

Und da war da noch diese eine besondere Parole. "Wir fordern den Sturz des Feldmarschalls", lautete sie.

Der Feldmarschall, das ist Mohammed Hussein Tantawi, Chef des Obersten Militärrates (SCAF), der das Land seit dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak regiert. Es ist ein Protestruf, der zeigt, wie schnell sich der Unwille des Tahrir-Volks gegen die Militärs selbst richten könnte. Die Generäle haben es mit der Übergabe der Macht zwar nicht wirklich eilig, aber sie reagieren auf Druck - und so gaben sie dem Druck der Straße schnell nach und machten große Versprechungen. Alles soll bald besser werden.

Mehr als ein halbes Jahr nach dem Mubarak-Sturz manipulieren die SCAF-Offiziere nach Kräften die versprochene Übergabe der Staatsgewalt. Teils mit Absicht, teils unter den Zentrifugalkräften der auseinanderstrebenden Gruppen und Parteien Ägyptens. Die Generäle basteln an einem neuen System, das mit Demokratie nur begrenzt zu tun haben dürfte - dafür aber einiges vom in sich verrotteten Mubarak-Staat samt seiner Seilschaften, seiner Polizeiwillkür und seiner Korruption belassen könnte. Also genau das, was die Menschen im Januar auf die Straße gebracht hatte.

Deshalb zieht das Volk - besser gesagt, der Teil des Volkes, der bei der Revolution seinen Kopf hingehalten hat - nun wieder auf die Straße. Die etablierten Parteien und die inzwischen zu ihrem exklusiven Kreis dazu gehörenden Muslimbrüder-Islamisten hingegen gehen nicht mehr demonstrieren. Sie kungeln lieber hinter den Kulissen mit dem Militärrat. Der kann so im politischen Dreieck taktieren zwischen Tahrir, den exklusiven Treffen mit Parteibonzen und seinen eigenen Seilschaften, die tief ins alte System hinein führen. In dieser unguten Konstellation können die Generäle weiter herrschen bis zur nächsten Kraftprobe.

Fürs Erste haben die Protestierenden auf dem Tahrir und auch die Kungel-Parteien einen Erfolg erstritten: Das Wahlgesetz, das die alten-Mubarak-Leute bevorteilt, soll geändert werden. Über die Notstandsgesetze wollen die Generäle auch noch einmal nachdenken. Und mit drin im Gute-Hoffnung-Paket ist zudem das Versprechen, die Macht bis Ende 2012 in zivile Hände zu legen.

Ob das so kommen wird, ist eine andere Frage. "Das Volk und die Armee sind eine Hand", war einer der Schlachtrufe der Revolution gegen Mubarak. Die Generäle hatten sich angesichts des Aufstands vom Diktator ab- und dem eigenen Volk zugewandt. Aber sie taten dies nicht aus heimlicher Liebe zur Demokratie. Sie hatten begriffen, dass das alte System am Ende war und ägyptische Soldaten für den Erhalt des Mubarak-Staats nicht auf ägyptische Zivilisten schießen würden.

Da aber die Offiziere - zu ihrem Vorteil - Teil des Mubarak-Systems waren, müssen sie sich seither an einer halsbrecherischen Gratwanderung versuchen. Die Macht an ein halbwegs modernes, vielleicht sogar kontrolliert demokratisches System übergeben? Ja. Den eigenen Einfluss und die eigenen Privilegien aufgeben? Nein. Der Liebling des Volkes und des Westens bleiben? Unbedingt. So betrachtet sind Volk und Armee keinesfalls die Finger derselben Hand.

Die Dinge sind noch lange nicht entschieden im Nach-Mubarak-Ägypten. Vieles ist denkbar - von halbwegs sauberen Wahlen bis hin zu den Manipulationen an der Urne, wie sie noch vom alten Regime bekannt sind. Aber auch ein ganz anderes, sehr ägyptisches Szenario wird langsam vorstellbar: Ein hoher Militär hängt die Uniform in den Spind und lässt sich als Zivilist zum Staatschef wählen.

Feldmarschall Tantawi jedenfalls war vor wenigen Tagen in der Kairoer Innenstadt unterwegs: in Zivil und ohne Leibgarde. Der General, der schon zu seiner Zeit als Verteidigungsminister Mubaraks in der Öffentlichkeit immer in goldbetresster Uniform aufgetreten ist, könnte beim Bad in der überraschten Menge eine pseudo-salomonische Lösung ausgetestet haben. Der SCAF-Chef gibt die Macht aus den Händen des Militärs und legt sie in zivile - in seine eigenen. Irgendwie wären Volk und Armee dann ja auch wieder ein- und dieselbe Hand.

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