Abtreibungen:In der Grauzone

Lesezeit: 2 min

Die Bundesregierung muss dringend einen Kompromiss beim Paragrafen 219a finden, der das Werbeverbot regelt. Andernfalls gibt es bald keine Abtreibungsärzte mehr in Deutschland - und viele Frauen, die ungewollt schwanger sind, werden wieder ins Ausland fahren.

Von Michaela Schwinn

Was ist erlaubt, wann mache ich mich strafbar? Und ist es eigentlich richtig, was ich mache? Es ist ein moralischer und rechtlicher Schwebezustand, in dem sich Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, derzeit befinden. Die politische und juristische Debatte um den Paragrafen 219a, um das Werbeverbot bei Abtreibungen, hat viele von ihnen tief verunsichert.

Diese Ungewissheit, diese Ängste dürfte auch die neuerliche Entscheidung des Landgerichts Gießen über den Fall der Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel nicht auflösen. Sie hatte Berufung eingelegt, nachdem sie im vergangenen Jahr zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, weil sie auf ihrer Internetseite über Schwangerschaftsabbrüche informiert hatte. Das Urteil war richtig, entschied nun das Landgericht. Womöglich hatte es auch gar keine andere Wahl: Dem Wortlaut des Paragrafen nach ist Hänel schuldig.

Eines aber hätte das Landgericht Gießen machen können, ja sogar machen müssen: das Verfahren aussetzen und Karlsruhe anrufen, die Hüter der Verfassung, so wie es Hänels Anwalt forderte. Dass es das nicht tat, ist absurd - der Richter selbst äußerte Zweifel daran, dass das Werbeverbot mit der deutschen Verfassung zu vereinbaren ist. Auch er wird erkannt haben, dass es längst nicht mehr um Hänel allein geht, sondern darum, ob der Paragraf Frauen in Notlagen Hilfen verwehrt, die ihnen zustehen; ob er dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Informationsfreiheit widerspricht. Solche Fragen können juristisch nur in Karlsruhe geklärt werden.

In Gießen wollte man das anscheinend nicht, stattdessen duckte man sich weg. Das ist nicht unsere Sache, das soll gefälligst die Politik regeln, war die indirekte Botschaft. Schön wäre es, könnte man entgegnen. Seit Monaten gleicht die Regierungsdebatte um den Paragrafen 219a einem Tauziehen, bei dem keine Seite auch nur einen Zentimenter nachgeben will: Die einen wollen den Paragrafen streichen, die anderen ihn umschreiben, wieder andere alles so lassen, wie es ist.

So aber wie es gerade ist, kann es nicht bleiben. Die Strafandrohung für Ärzte muss weg. Deshalb aber den ganzen Paragrafen zu streichen, ist nicht nötig. Es würde reichen, ihn so zu formulieren, dass Mediziner wieder sachlich über ihre Arbeit informieren können. Sie brauchen Gewissheit. Eines wird in der hochemotionalen Debatte nämlich häufig vergessen: Schon heute gibt es nur noch wenige Ärzte, die einen Abbruch vornehmen, und es werden immer weniger. Junge Mediziner entscheiden sich kaum mehr dafür, später Abtreibungen anzubieten. Ihre Angst ist groß, von fanatischen sogenannten Lebensschützern unter Druck gesetzt, verfolgt und vor Gericht gebracht zu werden.

Dass der Ruf von Ärzten, die Abbrüche vornehmen, in Verruf geraten ist, hat auch mit der rechtlichen Grauzone zu tun, die das Werbeverbot schafft. Die endlose Debatte in der Regierung trägt weiter dazu bei. Falls nicht bald eine Lösung gefunden wird - wie von Justizministerin Katarina Barley versprochen -, dann könnte es sein, dass sich die Diskussion mehr oder weniger von alleine erledigt. Irgendwann gibt es in Deutschland fast keine Abtreibungsärzte mehr. Und Frauen müssen wieder ins Ausland fahren, wenn sie ungewollt schwanger sind.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken
OK