Abschuss von türkischem Kampfjet durch Syrien:Syrische Flugabwehr hatte zweiten Jet im Visier

Lesezeit: 3 min

Die EU reagiert mit einer weiteren Verschärfung der Sanktionen auf den Abschuss eines Flugzeugs durch Syrien. Europas Außenminister brandmarken den Vorfall. Syriens Flugabwehr soll noch eine zweite Maschine im Visier gehabt haben.

Die Außenminister der 27 EU-Staaten haben den Abschuss eines türkischen Kampfflugzeugs durch Syrien als "inakzeptabel" verurteilt. Zugleich warnten sie in Luxemburg vor einer militärischen Eskalation des Konflikts.

Die Minister beschlossen auch eine Verschärfung der Sanktionen gegen das Regime Baschar al-Assad. "Selbst wenn es eine vorübergehende Verletzung des Luftraums Syriens gegeben haben sollte, so rechtfertigt das einen solchen Abschuss nicht. Das ist unverhältnismäßig", sagte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP). "Deeskalation ist entscheidend, bei aller Klarheit und Entschiedenheit der Verurteilung. Denn wir haben alle ein Interesse daran, dass diese Lage sich nicht weiter zuspitzt."

Auch andere EU-Außenminister kritisierten den Abschuss des Flugzeugs, schlossen aber ein militärisches Eingreifen weiterhin aus. "Dieses Flugzeug war unbewaffnet auf einem Routineflug und wurde, nach allem, was wir wissen, ohne vorherige Warnung abgeschossen", sagte der französische Außenminister Laurent Fabius. "Das ist völlig inakzeptabel." Sein britischer Kollege William Hague sagte: "Ich glaube, die Gefahr eines Zusammenbruchs in Syrien, einer sich verschlimmernden Krise, besteht weiterhin." Großbritannien dringe gemeinsam mit anderen Staaten mit Hochdruck auf eine neue Resolution des UN-Sicherheitsrates.

In Brüssel wird sich der Nato-Rat am Dienstag mit der Lage befassen. Die Türkei hat eine Sondersitzung des Gremiums der 28 Nato-Botschafter beantragt. Die EU-Außenminister verlängerten eine Liste von bisher 43 Unternehmen und Organisationen, denen Geschäfte mit der EU verboten sind und deren Vermögen in der EU eingefroren werden, um weitere sechs Namen. Auch wurde eine weitere Person einer Liste von 128 Namen von Führungsgestalten des Regimes hinzuzugefügt: Außer dem Einfrieren von Vermögen in der EU bedeutet dies ein Einreiseverbot in die EU.

"Wir sind sehr besorgt über das, was geschehen ist", sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Die EU gehe davon aus, dass die Türkei sich bei ihrer Antwort auch weiterhin zurückhalte. Ein militärisches Eingreifen in Syrien stehe nicht zur Debatte, sagte der niederländische Außenminister Uri Rosenthal. "Das ist nichts, was wir überlegen. Wir wollen keine Intervention, wir wollen die Umsetzung des Friedensplans des Sondergesandten Kofi Annan und Fortschritte auf dem Weg zu einem politischen Übergang in Syrien."

Armee hatte zweite Maschine ins Visier genommen

Unterdessen wurde bekannt, dass die syrische Luftabwehr nach dem Abschuss des Militärjets noch eine zweite türkische Maschine ins Visier genommen hatte. Ein zu der Absturzstelle entsandtes Suchflugzeug der türkischen Armee sei vom Radar der syrischen Luftabwehr erfasst worden und habe deshalb abgedreht, hieß es bei europäischen Diplomaten in Ankara. Den Angaben zufolge wurden die diplomatischen Vertreter aus Ländern der EU und der Nato von der türkischen Regierung über den bisher nicht bekannt gewordenen Vorfall informiert. Die türkischen Behörden äußerten sich zunächst nicht.

Derweil setzen sich offenbar immer mehr ranghohe Militärs aus der syrischen Armee ab: Nach Angaben des türkischen Staatsfernsehens sind am Montag ein syrischer General, zwei Oberste, zwei Majore und ein Leutnant in die Türkei geflohen. Mit ihnen seien 33 weitere Soldaten übergelaufen. Der türkische Privatsender CNN Türk berichtete zudem, die ranghohen Militärs hätten ihre Familien aus Syrien mitgebracht. Es handle sich daher um insgesamt 224 Flüchtlinge.

Seit Beginn des Aufstands gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad im März 2011 sind nach UN-Angaben mehr als 10.000 Menschen getötet worden. Unter den Rebellen befinden sich Tausende Deserteure. Am Donnerstag war erstmals seit Beginn der Kämpfe ein syrischer Kampfpilot mit seiner Militärmaschine desertiert und ins Nachbarland Jordanien geflohen.

Die Bewohner der unter anhaltendem Beschuss stehenden syrischen Stadt Homs haben einen Hilfsappell an die internationale Gemeinschaft gerichtet und sehen sich als Opfer eine "Genozids".

"Wir sind Ziel von anhaltenden und gnadenlosen Bombardierungen durch Raketen, Militärhubschrauber, Granaten, Panzern und schweren Waffen", hieß es in einer vom oppositionellen Syrischen Nationalrat verbreiteten Erklärung der Bewohner der Stadt. "Eines der grausamsten Verbrechen spielt sich vor Euren Augen ab und Ihr helft den Opfern noch immer nicht." Weiter erklärten die Bewohner: "Was in Syrien passiert, ist kein politischer Konflikt sondern ein Genozid, eine ethnische Säuberung."

Sie forderten die internationale Gemeinschaft auf, "umgehend" zu handeln. "Unsere Stadt wird vollkommen zerstört und demographisch verändert." Der im Exil ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge standen mehrere Stadtteile von Homs am Montag erneut unter Beschuss der Truppen von Staatschef Baschar al-Assad. Mindestens ein Zivilist wurde demnach getötet.

Auch in der Region Idlib hielten die Kämpfe demnach an. Mindestens zwei Zivilisten und ein Aufständischer wurden getötet. Die oppositionelle und vornehmlich aus Deserteuren zusammengesetzte Freie Syrische Armee warnte vor einem Massaker in Homs und warf der Regierung vor, einen Großeinsatz in der zentralsyrischen Stadt zu planen. In Homs sind seit Wochen hunderte Menschen eingeschlossen. Dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz zufolge fehlt es an Strom, Wasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten. Der Großteil der Stadt ist zerstört.

© dpa/dapd/Reuters/AFP/str - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: