Abschiebung von Sexualstraftätern:Recht auf Aufenthalt verwirkt

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Straftäter aus dem EU-Ausland können bislang nur unter engen Voraussetzungen abgeschoben werden. Das will ein Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof nun ändern - zumindest bei Sexualstraftätern: Auslöser ist ein spektakulärer Missbrauchsfall.

Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Rechtslage steht im augenfälligen Kontrast zur gängigen Forderung, straffällige Ausländer auszuweisen: Täter, die aus einem Land der Europäischen Union kommen, können nur unter engen Voraussetzungen abgeschoben werden - vor allem, wenn sie mehr als zehn Jahre in Deutschland leben. So steht es in der EU-Freizügigkeitsrichtlinie aus dem Jahr 2004. Für deren strikte Einhaltung sorgte bislang der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.

Nun jedoch deutet sich an, dass beispielsweise die Ausweisung wegen Sexual- und Gewaltverbrechen erleichtert werden könnte. An diesem Dienstag hat Generalanwalt Yves Bot vor dem EuGH dafür plädiert, den rigiden Schutz des EU-Rechts zu lockern. Und das Wort der Generalanwälte hat Gewicht; etwa drei Viertel ihrer Anträge haben Erfolg.

Auslöser des Verfahrens ist ein Missbrauchsfall: Ein italienischer Gelegenheitsarbeiter, seit 1987 in Deutschland, hatte sich über elf Jahre hinweg an der Tochter seiner früheren Lebensgefährtin vergriffen; anfangs war das Kind acht Jahre alt. Als die Taten vor sechs Jahren aufflogen, verurteilte ihn das Landgericht Köln zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis. 2008 folgte ein Bescheid der Stadt Remscheid: Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt.

Doch nach bisheriger Rechtslage könnte der inzwischen 46-Jährige auch nach seiner Entlassung aus der Haft 2013 nicht nach Italien zurückgeschickt werden. Nach fünf Jahren erwirbt ein Unionsbürger das Recht auf Daueraufenthalt - das ihm aber aus "schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" entzogen werden kann.

Nach mehr als zehn Jahren darf er nur noch aus "zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit" ausgewiesen werden. Dazu gehören nicht etwa alle besonders schweren Verbrechen, sondern nur solche mit erheblichem Gefahrenpotential für große Teile der Bevölkerung. Der EuGH hat im Jahr 2010 den bandenmäßigen Drogenhandel dazu gezählt. Eine Einzeltat dagegen - und sei sie noch so gravierend - gilt nicht als Bedrohung der allgemeinen Sicherheit.

Deshalb schlägt Generalanwalt Yves Bot einen anderen Weg vor: Zwar lebe der Sexualstraftäter seit nunmehr 25 Jahren in Deutschland, doch mit den Vergewaltigungen habe er schon im dritten Jahr seines Aufenthalts begonnen. Es sei nicht einzusehen, dass er den hohen Schutz der Zehnjahresklausel genießen soll, nur weil seine Taten "aufgrund der körperlichen und seelischen Gewalt, die er in verabscheuenswürdiger Weise jahrelang gegen das Opfer angewandt hat", unentdeckt blieben.

Im Grundsatz will aber auch Bot am strikten Ausweisungsschutz festhalten: Zu Europa gehöre auch das Phänomen Kriminalität. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts könne nicht errichtet werden, wenn "jeder Delinquent, der eine harte Strafe bekommt, allein deshalb in sein Heimatland zurückgeschickt wird".

© SZ vom 07.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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