60 Jahre BRD:Bonner Provisorium

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Genau vier Jahre vergehen von der Kapitulation bis zum Grundgesetz, das die Politiker gar nicht als dauerhaft ansehen.

Robert Probst

"Ich glaube, wir können den Tag nicht vorübergehen lassen, ohne uns über die politische Bedeutung des Beschlusses klarzuwerden, den wir zu fassen haben. Es ist heute der 8. Mai. Es sind also heute vier Jahre her, seitdem der totale Krieg mit einer totalen Niederlage endigte. Und heute, vier Jahre später, sind wir hier in Bonn, um die Grundlagen eines neuen, eines besseren Staates zu beraten und zu beschließen." Nicht nur der CDU-Abgeordnete Heinrich von Brentano nimmt am 8. Mai 1949 Bezug auf die Kapitulation der Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Das Datum ist ja auch bewusst gewählt worden - für die dritte und entscheidende Lesung einer provisorischen Verfassung eines westdeutschen Staatsgebildes.

Theodor Heuss wird zum ersten Präsident der jungen Bundesrepublik vereidigt. (Foto: Foto: dpa)

Nach dem vom NS-Staat begonnenen Weltkrieg, dem Tod von Millionen Soldaten und Zivilisten, der Zerstörung unzähliger Städte und dem singulären Menschheitsverbrechen des Holocaust waren die Deutschen 1945 zugleich besiegt und befreit worden. Die staatliche Souveränität liegt fortan in den Händen der Alliierten, die sogleich auf der Konferenz von Potsdam beschließen, "deutschen Militarismus und Nazismus" für immer auszurotten und Leben in den vier Besatzungszonen "auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage" wieder aufzubauen.

Doch was darunter zu verstehen sei, so wird schnell klar, darüber haben die drei Westalliierten und die Sowjetunion ganz unterschiedliche Auffassungen. Es dämmert der "Kalte Krieg" herauf, und Deutschland ist zunächst der Spielball der Mächte. Alsbald funktioniert auch der Alliierte Kontrollrat als Gremium der obersten Gewalt nicht mehr, die vier Militärgouverneure blockieren sich gegenseitig. Zu groß sind die ideologischen, politischen und machtstrategischen Gegensätze. Zwar entstehen 1946/47 in allen Zonen Parteien, Landesparlamente und Landesverfassungen - doch der Ost-West-Konflikt manifestiert sich vor allem in einer Frage: Parlamentarische Demokratie oder zentralistische Herrschaft der Kommunisten. Und dies um einen hohen Preis: der Teilung Deutschlands.

Marshallplan und Wirtschaftsreform

Um ihre Besatzungszonen in ihrem Sinne zu stabilisieren, ergreifen die Alliierten die Initiative - und schaffen kaum zu revidierende Fakten. Der Marshallplan unterstützt die Westzonen mit Milliardenhilfen, die (von den Amerikanern und Briten 1947 gebildete) Bi-Zone erhält alsbald gesetzgeberische Befugnisse im Frankfurter Wirtschaftsrat, und die Währungsreform im Juni 1948 legt den Grundstein für das spätere "Wirtschaftswunder". Im Osten weist die Fusion von KPD und SPD zur Einheitspartei SED in eine ganz andere Richtung. Auf der Londoner Sechsmächtekonferenz beschließen die Westalliierten dann, den Ministerpräsidenten der drei Westzonen eine Staatsgründung dringend zu empfehlen.

In den "Frankfurter Dokumenten", die die drei Militärgouverneure am 1. Juli 1948 den Ministerpräsidenten überreichen, wird die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung bis zum 1. September gefordert. Dies lehnen die deutschen Politiker entschieden ab, sie fürchten sowohl um die Einheit Deutschlands als auch die weitgehenden Rechte, die sich die Alliierten im Besatzungsstatut vorbehalten wollen. Allerdings gelingt es den Länderpolitikern lediglich, den Provisoriumscharakter des neuen Staatsgebildes durchzusetzen: Parlamentarischer Rat statt Nationalversammlung, Grundgesetz statt Verfassung.

Die vorbereitenden Arbeiten leistet innerhalb von 14 Tagen ein Expertengremium, das sich im August 1948 auf die Insel Herrenchiemsee zurückzieht. Diese Bevollmächtigten der Länder skizzieren einen föderalen, liberalen und "wehrhaften" Staat. Zahlreiche Grundsätze dieses Verfassungskonvents finden sich schließlich im Grundgesetz wieder. In aller Eile versammeln sich am 1. September 1948 die 65 Abgeordneten des Parlamentarischen Rates, die von den elf westdeutschen Landtagen gewählt worden waren (sowie fünf nicht stimmberechtigte West-Berliner), in Bonn. Als Präsident fungiert der 72 Jahre alte CDU-Politiker Konrad Adenauer. Acht Monate später ist das Werk vollbracht. Am 8. Mai 1949 um 23.55 Uhr verkündet der Präsident des Parlamentarischen Rates die historische Entscheidung: "Meine Damen und Herren! Das Grundgesetz ist mit 53 Ja-Stimmen gegen zwölf Nein-Stimmen angenommen worden."

Doch kein Provisorium

Die Militärgouverneure der USA, Großbritanniens und Frankreichs billigen das Grundgesetz trotz einiger Vorbehalte am 12. Mai 1949 - dem Tag, an dem die Sowjetunion die Blockade Berlins beendet. Doch die Stadt ist künftig von einem anderen Staatsgebiet vollständig umgeben. Am 7. Oktober 1949 wird mit großem Pomp die Deutsche Demokratische Republik errichtet - ein Staat unter Kontrolle einer diktatorischen SED; 40 Jahre später bricht der Staat zusammen.

Geradezu als Ironie der Geschichte mutet es nun im Rückblick an, mit welcher Vehemenz viele Parlamentarische Räte auch an jenem historischen 8. Mai immer wieder das Provisorische des Grundgesetzes betont haben. Der SPD-Politiker Carlo Schmid spricht vom "Bauriss für einen Notbau", und sein Fraktionskollege Walter Menzel sagt: "Wir sind uns durchaus bewusst, dass es aus dieser geschichtlichen Situation heraus gar nicht in unserer Macht steht, etwas zu schaffen, was Jahrzehnte überdauern könnte."

© SZ vom 14.3.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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