TV: "Ich kann Kanzler":Kanzlerwahl per Telefon

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Mit einer Casting-Show gegen die Politikverdrossenheit der Jugend: Bei "Ich kann Kanzler" sucht das ZDF den Super-Politiker - und macht damit womöglich alles nur noch schlimmer.

Lilith Volkert

Am Ende wird es so sein wie immer: Wer gewinnt, entscheidet der Zuschauer im Fernsehsessel.

Die Jury von "Ich kann Kanzler": der ehemalige Bremer SPD-Bürgermeister Henning Scherf, RTL-Moderator Günther Jauch und Comedy-Kanzlerin Anke Engelke und immerhin einem Politiker, (Foto: Foto: spa/ddp/oh/ap)

Vorher müssen sechs Kandidaten 100 Minuten lang Wahlkampf simulieren. Und man wird sich fragen, ob man per Telefon für den lässigen Hamburger mit dem Halstuch stimmt oder lieber für die kurzhaarige Powerfrau. Der dünne Typ mit der Britpop-Frisur war ja auch sympathisch, aber was hat der die ganze Zeit von Pluralismus erzählt?

Mit "Ich kann Kanzler" setzt das ZDF auf ein neues Casting-Format. Hier werden keine Sänger, Models oder Ekelüberwinder gesucht, sondern politische Nachwuchstalente. Im Finale an diesem Freitag müssen die Kandidaten deshalb zeigen, dass sie das können, was Politiker nach Ansicht vieler Menschen den ganzen Tag lang tun: Reden. Überzeugen. Gut rüberkommen wollen.

Hauptgewinn: Ein Praktikum im "Zentrum der Macht"

Der Gewinner bekommt ein Praktikum im "Zentrum der Macht" - gemeint ist der Bundestag - und ein Kanzler-Monatsgehalt. Die 16.000 Euro werden aber nur zweckgebunden ausgezahlt, zum Beispiel für politische Weiterbildung oder Projekte. Beim kanadischen Vorbild "The Next Great Prime Minister" gab es 50.000 Dollar auf die Hand, vier ehemalige Premierminister prüften die Kandidaten auf Sachverstand und Schlagfertigkeit.

Das deutsche Casting-Kompetenzteam besteht aus RTL-Moderator Günther Jauch, Comedy-Kanzlerin Anke Engelke und immerhin einem Politiker, dem ehemaligen Bremer SPD-Bürgermeister Henning Scherf. Hans-Dietrich Genscher hatte seine Teilnahme wieder abgesagt, er wollte wohl doch nicht den politischen Dieter Bohlen geben.

Dabei hätte der Ex-Außenminister damit das Ansehen seines Berufsstandes verteidigen können. Zumindest sieht es das ZDF so: "Ich kann Kanzler" soll das schlechte Image der Volksvertreter verbessern und der Jugend die Politik näherbringen. "Wenn es gut läuft, kann die Sendung bei jungen Leuten eine Begeisterung für gesellschaftliches und politisches Engagement auslösen", glaubt "heute"-Moderator Steffen Seibert, der das Finale moderiert - neben einer Zusammenfassung der Kandidatenauswahl ist es die einzige Sendung.

Dass die Politikverdrossenheit der Jugend besonders groß ist, gilt seit langem als erwiesen. Bei der letzten Bundestagswahl gaben nur ein Drittel der Wahlberechtigten unter 30 ihre Stimme ab, Parteien klagen über fehlenden Nachwuchs. Dass sich viele junge Menschen lieber bei Greenpeace und Attac oder bei lokalen Bürgerinitiativen engagieren statt im Ortsverein, wird oft nicht gesehen.

Das Casting-Kompetenzteam ist begeistert

Auch Moderator und Jury zeigten sich überrascht von der Ernsthaftigkeit und Professionalität der ausgewählten 40 Kandidaten, denen sie im Mai zwei Tage lang auf den Zahn fühlten. Beworben hatten sich etwa 2500 potentielle Kanzlerinnen und Kanzler zwischen 18 und 35 Jahren.

"Das Niveau der Redebeiträge war sprachlich und gedanklich höher als ich gedacht hatte", sagt Steffen Seibert. "Da waren sehr viele überzeugende Auftritte dabei." Jeder Kandidat musste sich im Plenarsaal des alten Bonner Bundestags den Fragen der Jury stellen und unter anderem seine "Idee für Deutschland" erklären: Mehr direkte Demokratie, eine Steuerreform oder einfach ein Zentrum für sozial schwache Familien.

Trotz des hochkarätigen Bewerberpools hat die Jury die sechs Kandidaten für die Endrunde vorsichtshalber selbst ausgesucht und dabei eine erstaunlich repräsentative Mischung hinbekommen: Zwei Frauen sind dabei, zwei Kandidaten kommen aus Ostdeutschland, zwei haben einen Migrationshintergrund. Bis auf die ehemalige Spaßpartei FDP und die Linke haben alle größeren Parteien auch einen Vertreter bei "Ich kann Kanzler".

Wenn es wirklich darum geht, den "deutschen Obama" zu finden, wie es auf der ZDF-Homepage heißt, dann hat Delano Osterbrauck auf den ersten Blick die besten Chancen: Der Münchner Schüler sieht wirklich ein wenig aus wie der neue US-Präsident, sein Vater kommt aus den USA. Den Titel der Sendung findet Osterbrauck zwar zu plakativ, trotzdem hofft er, dass gerade dadurch viele junge Menschen einschalten und sich mitreißen lassen: "Man muss sich doch für das einsetzen, woran man glaubt und dann dafür geradestehen."

Bisher hat er vor allem mit seinen Eltern über Politik diskutiert, seit März ist er SPD-Mitglied - und hat sich vor allem mit dem eigenen Wahlkampf beschäftigt. Dass er den gängigen Politikerslang bereits draufhat, zeigt sich im Gespräch mit sueddeutsche.de: "Die fehlende Bereitschaft vieler Jugendlicher, sich zu engagieren, liegt meiner Meinung nach auch an der mangelnden politischen Bildung. Hier müsste an den Schulen mehr getan werden", sagt der 18-Jährige.

Rhetorik mag beim Fernsehwettbewerb helfen, im wahren Leben reicht sie aber nicht aus. "Kanzler wird man in Deutschland nicht nur, weil man gut reden kann", sagt Michael Spreng, einst Wahlkampfberater von Edmund Stoiber. "Man braucht Sachkompetenz und muss die Spiele der Macht verstehen." Auch Jurorin Anke Engelke kritisierte nach der Vorauswahl die "Phrasendrescherei" mancher Kandidaten.

Politik als einfachste Sache der Welt

Ob "Ich kann Kanzler" wirklich gegen die Vorurteile politikverdrossener Jugendlicher hilft, muss sich noch zeigen. Im schlimmsten Fall bewirkt die Show das Gegenteil - weil sie ein falsches, zu oberflächliches Bild von Politik vermittelt.

"Dass Politik harte Arbeit ist und sich auch Kanzler mit komplexen Sachfragen beschäftigen, wird wohl nicht im Mittelpunkt stehen," sagt Jürgen Maier, Professor für Politische Kommunikation in Landau. "Vermutlich wird Politik als einfachste Sache der Welt dargestellt, nach dem Motto: Einfach die Ärmel hochkrempeln und Tacheles reden, dann klappt das schon." Mit diesem Bild im Kopf sind Jugendliche dann noch leichter frustriert von dem, was sie von Politik mitkriegen.

Auch wenn dieses Motto schon einmal funktioniert hat. Gerhard Schröder rief schließlich auch erst "Ich will hier rein!" Und dann ganz laut "Basta!".

Das ZDF zeigt die aufgezeichnete Vorentscheidung am Donnerstag, 18. Juni um 21 Uhr, die ungekürzte Fassung mit allen 40 Kandidaten der Vorrunde um 0.30 Uhr. Das Finale von "Ich kann Kanzler" beginnt am Freitag, 19. Juni um 21.15 Uhr.

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