Spesenskandal in Großbritannien:Dunkle Schatten über Brown

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Ein Brandbrief wegen des Spesenskandals trifft den britischen Premier härter als alle anderen Abgeordneten. Brown plagt neben sinkenden Umfragewerten auch die Angst um seine Gesundheit.

W. Koydl, London

Wenn Großbritanniens Abgeordnete nach ihrer ausgedehnten Sommerpause in dieser Woche wieder ins Parlament zurückkehren, erwarten viele von ihnen schlechte Nachrichten. Mehr als die Hälfte der 646 Volksvertreter wird einen Brief vorfinden, der den leidigen Spesenskandal in Erinnerung ruft, den sie verdrängt zu haben schienen. Sir Thomas Legg, ein vom Hohen Haus berufener Rechnungsprüfer, hat 325 Abgeordnete aufgefordert, binnen dreier Wochen Belege für ihre Ausgaben nachzureichen - oder zu Unrecht erstattete Spesen zurückzuzahlen.

Einer dieser Abgeordneten heißt Gordon Brown, und für den Premierminister könnte der Brandbrief zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen. Gut acht Monate vor dem voraussichtlichen Termin der nächsten Unterhauswahl ist er in den Umfragen noch weiter hinter seinen Herausforderer, den Tory-Chef David Cameron, zurückgefallen. Nach jüngsten Umfragen haben die Konservativen ihren Vorsprung auf knapp 20 Prozentpunkte ausgeweitet.

Die von Brown eingereichten fragwürdigen Spesen sind zwar schon lange bekannt: Ein Abo für einen TV-Sportkanal, 150 Pfund für doppelt abgerechnete Klempner-Arbeiten und 6577 Pfund für eine Putzfrau, die er sich mit seinem Bruder Andrew teilte.

Sein Ruf ist beschädigt

Doch anders als Cameron, der 750 Pfund für das Zurückstutzen einer Glyzinienhecke in seinem Haus unaufgefordert und unverzüglich zurückgezahlt hatte, hielt der Premierminister dies nicht für notwendig. Dass er nun ausdrücklich dazu ermahnt werden muss, weckt Zweifel sowohl an seinem Urteilsvermögen als auch an seinem Unrechtsempfinden - ganz zu schweigen von der Beschädigung seines Rufes als grundsätzlich ehrlicher schottischer Pfarrersohn.

Der Spesenskandal, der von der Londoner Zeitung Daily Telegraph im Frühsommer über Wochen hinweg mit täglich neuen Enthüllungen über ebenso aberwitzige wie habgierige Machenschaften Hunderter Abgeordneter publik gemacht worden war, hatte das ohnehin nicht große Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre parlamentarischen Repräsentanten erschüttert.

Zahlreiche Abgeordnete haben unter dem Eindruck der Enthüllungen bereits freiwillig auf eine weitere Kandidatur verzichtet, andere wurden von ihren Parteien nicht mehr aufgestellt. Unbekannt ist, wie viele Parlamentarier wegen ihrer Spesenpraxis aller Voraussicht nach nicht mehr wiedergewählt werden.

Brown ist nicht der einzige Politiker, dessen Reinigungsrechnungen unter die Lupe genommen werden. Bei dem Labour-Abgeordneten Mike Hall etwa schien es sich um einen ausgesprochenen Putzteufel zu handeln. Beinahe 15.000 Pfund stellte er dem Steuerzahler über drei Jahre für die Reinigung seiner Zweitwohnung in London in Rechnung. Hinzu kamen Rechnungen für die Reinigung seiner Anzüge und das Bügeln seiner Hemden sowie nochmals bis zu 250 Pfund im Monat für Putz- und Reinigungsmittel.

Doch für Brown waren nicht nur die politischen Nachrichten schlecht. Nun wurde bekannt, dass bei einer Routineuntersuchung zwei Risse in der Netzhaut seines rechten Auges entdeckt wurden. Auf dem linken Auge ist der Premier seit einem Rugby-Unfall als Teenager blind. Obwohl Downing Street dementierte, dass Brown sein Augenlicht gänzlich verlieren könnte, blieb die Diagnose nicht ohne Auswirkungen auf den Regierungschef. Mitarbeiter berichteten, er sei niedergeschlagen und gereizt - ein Zustand, der sich bis zum Wahltag nur verschlimmern kann.

© SZ vom 12.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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