Kampf gegen IS:An die Wurzeln

Lesezeit: 3 min

Im Kampf gegen den Terror sind Verteidigung, aber auch Angriff nötig. Verteidigen muss sich der Rechtsstaat vor allem in Europa. Der IS kann aber nur besiegt werden, wenn die Auseinandersetzung auch in sein Machtgebiet verlegt wird.

Von Stefan Kornelius

Freie Gesellschaften benötigen viel Zeit, ehe sie ihre Feinde ernst nehmen. Feindschaft und Unversöhnlichkeit gehören nicht zum Denkmuster von Demokratien. Die Toten von Paris, die ermordeten russischen Urlauber, die Opfer in Beirut und Amman sollten nun ausreichen, um für Klarheit sorgen. Der Blutzoll des November macht klar, dass der IS als die größte Bedrohung wahrgenommen werden muss, der die Welt ausgesetzt ist.

Es ist nicht der Terror allein, der Leib, Leben und politische Ordnung gefährdet. Das Spiegeldrama zum dschihadistischen Hass heißt Flucht. Der Massenexodus und die Pariser Terrornacht sind untrennbar miteinander verknüpft, weil sie von denselben Kräften befeuert werden: den islamistischen Mordbrennern.

Am Anfang der Gewalt stehen der Zivilisationszerfall im Nahen Osten und die Auflösung aller Ordnung. Der Westen, vor allem die USA, hat dazu beigetragen. Er hat morsche Systeme wie in Libyen zerstört, ohne Neues aufzubauen; er hat im Irak ohne Not dem Urkonflikt zwischen Schiiten und Sunniten Nahrung gegeben und dem Staatszerfall wenig entgegengesetzt. Und er reagierte hilflos, als der Syrien-Potentat die letzte Konvention internationaler Ordnung brach und mit Giftgas auf seine Gegner schoss. Wer aber wirklich nach Schuld und Ursachen sucht, muss tiefer graben.

Der Säurefraß hatte lange vor Libyen, Irak und 9/11 begonnen. Der innerislamische Gesellschaftskrieg ist keine Erfindung des Westens. Diese Welt leidet unter der Auseinandersetzung zwischen säkularen und religiösen Kräften. Kein Herrschaftsmodell ist diesem Konflikt gewachsen - keine Demokratie, kein Autokrat, kein religiöser Führer. Der Gewalttrieb im Namen des Herrn kann morgen Saudi Arabien, Ägypten oder Algerien treffen. Syrien im Zentrum der Implosion hat unter dem Deckmäntelchen des Laizismus die Kämpfer Gottes magnetisch angezogen. Deswegen wurde der Kunststaat zur Brennkammer der Gewalt.

Wer die eigentlichen Ursachen von Terror und Flucht bekämpfen will, der muss also die richtigen Wurzeln benennen: Fanatismus, religiöser Wahn, den Mangel an staatlicher, ordnender Macht und eine schier unvorstellbare Perspektivlosigkeit. All das hat Hunderttausende in die Flucht getrieben und kostet nun Menschenleben um Menschenleben.

Freie Gesellschaften neigen dazu, die Gefahr durch Etiketten kategorisieren zu wollen: Krieg, totaler Krieg, oder Gefahr für die innere Sicherheit. Mit dieser Einteilung soll der Grad der Widerstandsbereitschaft und Optionen zum Schutz und zum Gegenschlag kontrolliert werden. Für den IS sind das lächerliche Spiele der Selbstvergewisserung. Die Terrorgruppe kennt nur eine Kategorie: immer mehr Gewalt.

Die Mechanismen des Dschihad sind nach anderthalb Terrorjahrzehnten hinlänglich bekannt. Bekannt ist außerdem, woran seine Bekämpfung scheitert: vor allem an Halbherzigkeit. Dem Westen fehlt es an Geschlossenheit und Ausdauer. Vor allem hat die Phase nach 9/11 gezeigt, dass den Gesellschaften der islamischen Welt Stabilität alleine von außen nicht aufzuzwingen ist. Paris sollte nun Anlass dazu geben, diese Mängel zu beheben.

Der Westen hat viele Hebel, der Ölpreis ist nur einer

Im Kampf gegen den IS sind Verteidigung, aber auch Angriff nötig. Verteidigen muss sich der Rechtsstaat, vor allem in Europa. Er muss dies mit Polizei und Geheimdiensten tun, mit Überwachung und Prävention, mit Integration und der beständigen Versicherung an die eigene Gesellschaft, dass Schutz zwar nie vollständig aber bestmöglich garantiert werden kann. Diese entschlossene Verteidigung gilt vor allem dem Rechtsstaat und seinen extremistischen Feinden, zu denen auch radikale Parteien gehören.

Der IS wird aber nicht besiegt werden können, wenn die Auseinandersetzung nicht in sein ureigenes Machtgebiet verlegt wird. Der militärische Kampf gegen die Islamisten ist bisher halbherzig geführt worden. Russlands Eintritt in den Krieg hat eine Strategie auch nicht wirklich befördert. Von größter Bedeutung ist, dass die lokalen Volksgruppen die Befreiung von der Unterdrückung anführen. Irak und Afghanistan haben gezeigt, dass Interventionen durch den Westen allein zu viel neuen Widerstand provozieren.

Ebenfalls immens wichtig ist der politische Druck auf die regionalen Patrone der Terroristen, auf ihre Waffenlieferanten und auf die geistigen Brandstifter, die vor allem auf der arabischen Halbinsel zu finden sind. Der Westen hat hinreichend viele Hebel, der Ölpreis ist nur einer. Schließlich aber ist alles nichts, wenn nicht der Katalysator für Radikale oder Fluchtwillige gestoppt wird: die Perspektivlosigkeit. Das ist die Jahrhundertaufgabe des Westens. Die islamische Welt braucht systematische und beständige Hilfe. Sie braucht Unterstützung beim Aufbau haltbarer Machtstrukturen und Volkswirtschaften. Der Islamische Staat will eine Revolution? Er sollte sie bekommen.

© SZ vom 16.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: