Belagerungen:Von Stalingrad bis Aleppo

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Städte stehen oft für Verbrechen des Krieges - und in vielen Fällen sind sie auch die Orte, an denen sich der Konflikt entschieden hat.

Von Joachim Käppner

Wenige Jahre zuvor hatten nur Experten und ein paar Touristen den Namen der Stadt gekannt, heute steht er weltweit für das Grauen, das Menschen über andere Menschen bringen können. Im bosnischen Srebrenica ermordeten serbische Militäreinheiten 1995 mehr als 8000 Muslime, das Massaker gilt als schlimmstes Verbrechen in Europa nach 1945. Es erschütterte politische Ordnungen und moralische Gewissheiten, und der Name der kleinen Stadt ist längst ein Synonym für die Abgründe der Condition humaine, wie der französische Schriftsteller André Malraux 1933 seinen Roman über die Erschießung Hunderter Arbeiter in Shanghai genannt hatte. So wie Srebrenica für die Barbarei der Täter und die Untätigkeit der Weltgemeinschaft zugleich steht (die UN-Truppen, welche die Stadt schützen sollten, schlichen jämmerlich davon), so wird die Stadt Aleppo wohl für lange Zeit mit Mord und Zerstörung, entfesselter Gewalt, zynischer Machtpolitik und einer passiven Staatengemeinschaft verbunden sein.

Der Einmarsch deutscher Truppen in Paris zeigte 1940 das Desaster

Viele Kriege und Tragödien manifestieren sich in Städtenamen; denn die Kriege wie die Tragödien fordern hier besonders viele Opfer und verändern das Antlitz der Städte oftmals für immer. Vor dem innersyrischen Krieg war Aleppo mit dem Basar und seinen Baudenkmälern eines der großen Zentren alter syrischer Kultur. Dieses Aleppo ist unwiderruflich Vergangenheit. 1942/43 wurde Stalingrad, vorher als die "weiße Stadt" Symbol sozialistischen Aufbauwillens, fast vollkommen vernichtet; heute erinnert ihr damaliger Name an den Ort, an dem die Rote Armee den Deutschen ihre bis dahin schwerste Niederlage beibrachte und den Krieg wendete.

Die Kontrolle über große Städte bringt kriegführenden Parteien strategischen Nutzen, von hier aus lassen sich ganze Regionen beherrschen, hier werden Armeen untergebracht und Ressourcen genutzt. Ein Verteidigungsheer, welches keine Städte mehr besitzt, erschien dem Strategen Carl von Clausewitz "wie ein Körper ohne Harnisch". Und nicht zuletzt gibt es einen nicht zu unterschätzenden psychologischen Faktor. Als am 14. Juni 1940 die Wehrmacht in Paris einmarschierte - das zuvor zur "offenen Stadt" erklärt worden war -, wurde der fassungslosen Welt das ganze Ausmaß des Desasters klar, das die Demokratien soeben erlitten. Umgekehrt zielten die deutschen Heere im Winter 1941 in der Erwartung auf Moskau, dass der Fall der Stadt das Ende des Krieges bedeuten werde. Noch Jahrzehnte später behaupteten deutsche Generäle von damals, der Sieg sei "zum Greifen nah" gewesen, als die Offensive am Stadtrand in Schnee und Eis zum Stehen kam. Damit wurden sie Opfer ihrer eigenen Propaganda, weil die Sowjetunion selbst bei einem Verlust Moskaus den Widerstand fortgesetzt hätte. Eben das war 1812 Napoleons Grande Armée widerfahren, welche die russische Hauptstadt sogar besetzte, am Ende aber vernichtend geschlagen wurde.

Leider sind Städte, die für friedliche und glücklichere Lösungen stehen, selten zu symbolischen Begriffen geworden. Greifswald in Vorpommern könnte so ein Fall sein: Ende April 1945 übergab der örtliche Wehrmachtskommandant Rudolf Petershagen die Stadt kampflos der Roten Armee, welche dafür Schonung der Bevölkerung versprach und die Stadt heil ließ. Wie gut wäre es gewesen, hätte es mehr Greifswalds gegeben.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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