Afghanistan:Berlin mischt mit am Hindukusch

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Rauch über Kabul: Am Montag detonierte eine Bombe mit großer Sprengkraft in Afghanistans Hauptstadt. (Foto: Rahmat Gul/AP)

Deutschland und Katar initiieren einen Gipfel, an dem erstmals Vertreter beider afghanischer Konfliktparteien teilnehmen sollen.

Von Tobias Matern, München

Schon seit einem Jahr bemühen sich die USA, dem leidigen Krieg in Afghanistan ein Ende zu setzen. Dafür hat die Regierung von Präsident Donald Trump alte Prinzipien amerikanischer Außenpolitik über Bord geworfen: Die Taliban, die Washington noch vor nicht allzu langer Zeit als Terroristen eingestuft hat, sind nun Verhandlungspartner auf Augenhöhe. Der Grund: Sie sind militärisch nicht zu bezwingen. Ein Abzug der westlichen Truppen ohne eine politische Einbindung der Islamisten würde das Land vollends ins Chaos stürzen.

Wie die Islamisten ihre neue diplomatische Rolle ausüben und der Supermacht nach fast 18-jährigem militärischen Kräftemessen nun am Verhandlungstisch die Stirn bieten, bekommt Zalmay Khalilzad zu spüren. Amerikas Top-Diplomat für die Region mit afghanischen Wurzeln soll auf Geheiß von Trump dafür sorgen, dass der längste Militäreinsatz der US-Geschichte bald abgeschlossen ist. Im Wüstenemirat Katar sitzt er dafür dieser Tage in der siebten Gesprächsrunde mit den Taliban zusammen, auch um über Bedingungen für einen Abzug der ausländischen Truppen zu sprechen. In den Gesprächen fehlt indes die afghanische Regierung, weil die Taliban dies bisher rigoros abgelehnt haben.

Nun haben zwei weitere Akteure aber dafür gesorgt, dass nicht nur USA und Taliban bilateral verhandeln, sondern auch der innerafghanische Friedensprozess Fahrt aufnehmen kann: Deutschland und Katar. Im Hintergrund haben sich Diplomaten aus Berlin seit einiger Zeit darum bemüht. Am Sonntag und Montag sollen nun in Doha bei einem gesamtafghanischen Gipfel erstmals Vertreter beider Konfliktparteien an einem Tisch Platz nehmen. Wie der deutsche Sondergesandte für Pakistan und Afghanistan, Markus Potzel, am Dienstag betonte, werden die Teilnehmer aber "nur in ihrer persönlichen Kapazität und auf gleicher Stufe" zusammentreffen. Das heißt wohl: So können die Taliban auch weiterhin öffentlich erklären, dass sie noch nicht offiziell mit der afghanischen Regierung verhandeln.

Für die Aufständischen laufen - sehr zum Leidwesen der afghanischen Sicherheitskräfte und Zivilbevölkerung - nicht nur die Gespräche nach Plan. Während sie mit den Amerikanern verhandeln, weiten sie in Afghanistan ihre Macht aus. Am Dienstag eroberten sie einen Distrikt im Norden des Landes. Und um den militärischen Druck auf die afghanische Regierung und deren westliche Verbündete hochzuhalten, setzen sie zeitgleich zu den Runden in Doha auf noch mehr Anschläge als sonst schon: Am Montag verübten sie in Kabul einen schweren Autobomben-Angriff, bei dem mindestens sechs Menschen starben, am Wochenende waren bei Taliban-Angriffen auf Einrichtungen der Polizei und Armee landesweit mindestens 65 Menschen gestorben. "Es ist traurig, dass die Taliban unschuldige Kinder töten, um mehr politischen Handlungsspielraum zu gewinnen", sagte Sima Samar, die Chefin der afghanischen Menschenrechtskommission, der Süddeutschen Zeitung zur Strategie der Islamisten: Diese besteht ganz offensichtlich aus bomben und verhandeln.

Erschwert wird der Friedensprozess auch durch zeitlichen Druck: US-Außenminister Mike Pompeo sagte bei seinem jüngsten Besuch in Kabul, Washingtons Ziel sei es, bis zum 1. September einen Friedensvertrag erreicht zu haben. Kenner des Landes halten solche Äußerungen für ungeschickt: "Es macht keinen Sinn, in Afghanistan einen Zeitplan zu nennen, es ist regelrecht töricht, dass Pompeo es trotzdem tut", sagte der Analyst Ahmed Rashid, einer der bekanntesten Kenner des Konflikts, der SZ . Die Vereinigten Staaten hätten noch keine gute Strategie für die Gespräche in Doha gefunden, etwa um Quertreiber unter den Taliban zu identifizieren oder die moderaten Kräfte so zu bearbeiten, dass sie sich einem Friedensdeal beugten. Die Amerikaner wollen den Taliban eine Sicherheitsgarantie abringen, damit von afghanischem Boden künftig keine Terrorgefahr mehr ausgeht.

Auch die innenpolitische Lage in Afghanistan macht die Aussöhnung nicht leichter: Präsident Ashraf Ghani muss sich nun am 28. September einer Wiederwahl stellen, nachdem die Abstimmung wegen diverser Schwierigkeiten bereits zweimal verschoben worden ist. Somit überlappt sich der Wahlkampf mit dem angeschobenen Friedensprozess. Die von ethnischen Konflikten geprägte afghanische Politik ist also ausgerechnet zu einem Zeitpunkt gelähmt, in dem eine gemeinsame Haltung der verschiedenen politischen Machtzirkel erforderlich wäre, um den Taliban mit einer Stimme begegnen zu können.

Auch gegen den Diplomaten Khalilzad als US-Verhandlungsführer gibt es in Kabul Vorbehalte. Längst nicht alle politischen Fraktionen glauben, dass er ein ehrlicher Makler für Afghanistans Interessen sei, sondern eine eigene Agenda verfolge: So hält sich etwa hartnäckig das Vorurteil, er setzte sich vor allem deshalb für einen Frieden in seinem Geburtsland ein, um später selbst einmal die Präsidentschaft anstreben zu können.

Die Menschen in Afghanistan verfolgen den Friedensprozess mit gemischten Gefühlen: Zwar sehnen sie sich nach Frieden, um endlich ohne Angst auf die Straße gehen zu können. Aber die Befürchtungen sind groß, dass ein überhastet von den USA vermittelter Friedensschluss den Taliban in die Hände spielt und die Probleme des Landes noch verschärft. Mühsam erkämpfte Menschenrechte und persönliche Freiheiten der Bevölkerung dürften erst gar nicht Teil der Verhandlungen sein, fordert etwa Sima Samar. Aber sicher ist die Aktivistin nicht, dass ihre Forderung auch Gehör finden wird.

In Doha ist sie nicht eingeladen.

© SZ vom 03.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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