Winnenden nach dem Amoklauf:Killerspiele, Zombies, Waffenrecht

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Nach Erfurt ist vor Erfurt: Am Tag nach dem Amoklauf von Winnenden ist es wieder Zeit für Forderungen. Von Verschärfungen des Waffenrechts bis hin zum Verbot von Killerspielen - ein Überblick.

Thorsten Denkler

Der Tag nach dem Amoklauf ist der Tag für die Frage: Wie lässt sich eine solche Bluttat verhindern? Wie schon nach dem Amoklauf von Erfurt bietet dieser Fall reichlich Gelegenheit, Gesetzesverschärfungen und Konsequenzen zu fordern. Kaum einer, der nicht gefragt wird. Und kaum einer, der nicht antwortet und seine ganz eigene Lösung liefert.

Screenshot aus dem Computerspiel Counterstrike: Nach dem Amoklauf werden erneut Verbotsforderungen laut. (Foto: Foto: ddp)

Am weitesten geht bislang der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Der forderte schon zu einem Zeitpunkt ein Verbot von Computer-Gewaltspielen, als noch gar nicht klar war, ob Tim K. solche Spiele nutzte. Dennoch: Es seien Killerspiele auf dem Markt, die "völlig unerträglich" seien und bei jungen Menschen Hemmschwellen herabsetzten. Inzwischen scheint festzustehen, dass Tim K. im Besitz einschlägiger Killerspiele war. In seinem Zimmer wurden auch mehrere Softairwaffen gefunden - Wasser auf die Mühlen des Innenministers.

An Herrmanns Seite springt CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt: Er fordert wagemutig eine Allianz gegen Gewalt, an der sich alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte beteiligen müssten. "Wir müssen endlich auf breiter Front gegen die Tendenzen der Verrohung antreten", sagte er. Es müsse vor allem auch darüber nachgedacht werden, wie Gewalt dargestellt wird. "Hier muss die Gesellschaft deutlicher reagieren und darf keine falsche Toleranz zeigen", sagte Dobrindt.

Der Kriminologe Hans-Dieter Schwind, Präsident der Deutschen Stiftung für Verbrechensbekämpfung, findet das auch: "Dass der 17-Jährige auf der Flucht noch weiter um sich geschossen hat, ist ein Verhalten, das Jugendliche auch in Spielen wie Counterstrike oder Crysis lernen können." Ein Verbot müsse her.

Darüber hinaus werden Forderungen nach einer Verschärfung des Waffenrechtes lauter. Die Eltern haben offensichtlich gegen geltendes Recht verstoßen, weil sie die spätere Tatwaffe ungesichert im Schlafzimmer aufbewahrt haben. Außerdem war der Vater von Tim K. im legalen Besitz von insgesamt 15 Waffen. Tim K. soll überdies Patronen in dreistelliger Anzahl dabeigehabt haben. Noch ist unklar, wie er an solche Mengen scharfer Munition gekommen ist.

"Es gibt keine letzte Sicherheit"

Die Politik steigt bisher nicht auf solche Forderungen ein. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), der im vergangenen Jahr sogar über eine Entschärfung des Waffenrechtes nachdachte, sagte, dass aus Gründen, die diskutiert werden müssten, die Zahl der Menschen steigt, die plötzlich Gewalt anwenden. Aber: "Das können sie durch noch so restriktive Gesetze nicht in den Griff bekommen."

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering sprach sich gegen übereilte Reaktionen der Politik auf den Amoklauf aus. "Niemand sollte den Eindruck erwecken, hier eine schnelle, pauschale politische Antwort zu haben", sagte er den Nürnberger Nachrichten. Missbrauch von Waffen sei nur sehr schwer zu verhindern, "wenn Leute da mit krimineller Gewalt herangehen".

Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy hält das deutsche Waffenrecht gar für "auf der Höhe der Zeit". Das Waffenrecht ist nach dem Amoklauf von Erfurt zweimal verschärft worden. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach warnt vor einer einseitigen Debatte über das Waffenrecht. "Die Themen schulpsychologische Arbeit und Gewaltprävention sind nach so einem Fall mindestens genauso wichtig wie das Thema Waffenrecht".

Volker Kauder, Chef der Unions-Bundestagsfraktion sieht ebenso kaum Möglichkeiten, durch schärfere Gesetze Amokläufe zu verhindern. "Wir sind in einer Situation, dass wir erkennen müssen, dass es letzte Sicherheit nicht gibt; dass man nicht alles einfach abwenden kann", sagte Kauder.

"Eine Scheindiskussion"

Erwartungsgemäß heftig wehrt sich die Waffenlobby gegen weitere Gesetzesverschärfungen. Friedrich Geppert, Chef des Bundes Deutscher Sportschützen, erklärte, das sei "eine Scheindiskussion", die von den wahren Gründen ablenke. Die legalen Waffenbesitzer sollten "zum Sündenbock" gemacht werden. Dabei habe von zwei Millionen Waffenbesitzern in Deutschland gerade einer versagt. Der Schüler Tim K. sei offenbar zu einem "Zombie mutiert", das sei "kein Mensch mehr", sagte Geppert, als wenn er damit den wahren Grund für den Amoklauf ergründet hätte.

Ein weiterer Aspekt ist die Sicherung der Schulen. Und wieder werden die gleichen Diskussionen geführt wie nach Erfurt. Sebastian Edathy, der auch Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag ist, hält es für durchaus vorstellbar, Metalldetektoren in Schulen einzusetzen, wenn dort schon mal Waffen gefunden wurden. Andere Ideen sind: Zugangssperren für Schulfremde, Einlasskontrollen, Identifikationskarten für Schüler, wie etwa die Polizeigewerkschaft fordert.

Heinz-Peter Meidinger, Chef des Deutschen Philologenverbandes will keine Videoanlagen, Sicherheitsschleusen, Eingangskontrollen oder Metalldetektoren an den Schulen sehen: "Das sind Vorschläge von Personen, die schon lange keine Schule mehr von innen gesehen haben."

Auch Franz Müntefering sprach sich gegen einen "Festungscharakter" von Schulen aus. "Es wird immer wieder Menschen geben, die aus der Spur kommen und gewalttätig werden. Hundertprozentig verhindern, etwa durch Festungscharakter von Schulen, wird man die Gewalt nicht können", sagte er.

Der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau (CDU) hält davon auch nichts. Er sehe keine generelle Möglichkeit, den Zugang zu den Schulen für Fremde massiv zu beschränken. Die Schulen dürften nicht zu Festungen ausgebaut werden. Das findet auch sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Ingo Wolf (FDP): "Ich halte nichts davon, Schulen, die zum freien, toleranten Umgang erziehen sollen, zum Hochsicherheitstrakt auszubauen." Aber über einen besseren Schutz der Schulen will der FDP-Politiker trotzdem diskutieren.

Josef Kraus, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes, forderte mehr psychologisches Personal an Schulen. Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, dagegen bezweifelt den Nutzen von mehr Schulpsychologen. Die seien für gefährdete Schüler Fremde, denen sie sich kaum öffnen würden.

Die Frage ist, ob die Psychologen dazu überhaupt ausreichend qualifiziert sind, sagt der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth. Er kritisiert etwa die Ausbildung von Schulpsychologen. "Wenn Jugendliche sich extrem zurückziehen, müssten sofort die Alarmglocken schrillen", sagte Roth. Er kritisiert aber auch, dass immer mehr Stellen von Schulpsychologen abgebaut würden - und findet: "Da wird am falschen Ende gespart."

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