Werbung:Gefährliche Keilschaften

Lesezeit: 2 min

Der Keil erlaubt es, Aufmerksamkeit zu lenken, und wer wäre nicht dankbar, in dieser überreizten Welt ein wenig geführt zu werden. An der Spitze des Keils: der Chef. Selbst Bundestrainer Löw vertraut jetzt auf die V-Formation.

Von Cornelius Pollmer

Schon als Schüler wird man vielfach belichtet, nachhaltig in jedem Fall fürs Klassenfoto, und deswegen bleibt es Holger Ertel aus der 4b bis heute unverziehen, dass er einen damals gekniffen hat, kurz bevor das Vögelchen kam. Apropos, am heiteren Himmel lässt sich vieles lernen für den Moment, in dem es gilt, Haltung einzunehmen. Der Winkelflug hat sich bei Störchen, Ruderfüßern und anderen Zugvögeln als Formation der Wahl herausgebildet, es geht ihnen dabei um Kommunikation, Kollisionskontrolle und Energieersparnis. All diesen Bereichen gemein ist, dass sie auch in der Autobranche immer wichtiger werden, und so überrascht es kaum, dass Mercedes nun vermehrt die V-Formation für Anzeigenmotive wählt. Zu sehen ist darauf etwa Joachim Löw, Trainer der Männer-Fußballnationalmannschaft. Im Fußball dürfte es zwar nicht so kommen wie im Skispringen, wo die parallele Ordnung der Dinge einst vom V-Stil überflügelt wurde. Anhand des Fußballs aber lässt sich zeigen, was die Winkel-Advokaten bezwecken, wenn sie ihre Werbeträger zum Keil treiben.

Der Keil hilft einem sogar, sich Silvester Stallone als neuen Chef der CSU vorzustellen

Der Keil erlaubt es, Aufmerksamkeit zu lenken, und wer wäre nicht dankbar, in dieser überreizten Welt ein wenig geführt zu werden. An der Spitze des Keils nämlich steht der Chef und zu dem soll man als Erstes schauen, ob er nun als Seehofer eine Partei anführt oder als Stallone eine Bande von Kaputtmachern. Noch interessanter aber ist die sich zu beiden Seiten sacht wegschenkelnde Gesamtheit der Machtschattengewächse. Das Rollenspiel unterliegt hier einer gewissen Dynamik: Wer will an die Keil-Spitze anstelle des Kalifen? Wer hingegen bleibt gerne Lakai oder versteht es, den Brutus in sich zu bändigen?

Im Englischen gibt es die schöne Wendung I've got your back, und eine Wendung ist diese Aussage schon deswegen, weil dem König eben oft jene das Messer in den Rücken rammen, die gerade noch seine Schleppe trugen. An dieser Stelle kreuzen die Vögel ein weiteres Mal den Flug, in ihrem V nämlich nutzen alle den Auftrieb der Wirbelschleppe ihrer Vorderleute, ausgenommen eben den Vordervogel.

Die Faszination des V entsteht erst in diesem Überspannungsfeld aus Synergie und Abhängigkeit, Vertrauen und Verdachtsmomenten sowie aus einer Gruppen-Aura, die man lustigerweise Cliquebait nennen müsste, verstünde denn jemand, was damit gemeint wäre. Wirklich lustig aber wird es wie immer erst, wenn man die Dinge komplett durcheinander bringt, wenn man zum Beispiel Stallone gegen Seehofer tauscht. Es kann sich wirklich niemand vorstellen, welches Stück er lieber im Theater der Welt sähe: Die CSU unter einem Vorsitzenden Silvester Stallone - oder Horst Seehofer als Befehlshaber einer paramilitärischen Seniorengruppe namens "Die Entbehrlichen".

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken
OK