Weihnachtsmärkte:O Pannenbaum

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Löcher im Nadelkleid, fehlende Spitze, scheußlicher Schmuck - es kann so vieles schief gehen. Alle Jahre wieder stellt sich die Frage: In welcher Stadt steht der hässlichste Christbaum der Welt?

Von Nadeschda Scharfenberg

Geknickt: Charlie Brown hat beim Christbaumkauf alles falsch gemacht – finden seine Freunde. (Foto: Disney/ABC)

Die städtischen Weihnachtsbaumbeauftragten sind nicht zu beneiden. Bevor dieser Tage auf den Christkindlmärkten die Lichtlein angeknipst werden, mussten sie, unter Berücksichtigung so unromantischer Dinge wie Baumschutzsatzungen und Transportbestimmungen, den perfekten Baum finden, heil herbeikarren und angemessen schmücken. Da kann einiges schief gehen. Ein trauriges Tännchen hat schon so manche Stadt zum Gespött gemacht. Ein Spaziergang durch den Wald der Pannenbäume.

Schummelbaum

Der Christbaum am Frankfurter Römer ist in diesem Jahr ein Geschenk aus Schmallenberg im Sauerland, im Gesamtwert von 10 000 Euro. Wobei sich die Stadt ihr Geschenk vorsichtshalber selbst ausgesucht hat. Zum Baum-Casting Anfang Oktober reiste eine Busladung von Offiziellen und Reportern an, die Wahl fiel nach einigem Hin und Her auf eine 33 Meter hohe Rotfichte. "Weihnachtsbaumkauf, das ist ja schlimmer als Schuhe kaufen", ächzte Oberförster Siegfried Hunker in eine Kamera. Der Transport nach Hessen in der vergangenen Woche entpuppte sich als eine noch größere Herausforderung als das Casting. Der Tieflader blieb an einer Ampel hängen, Zweige splitterten, es nadelte. Der Oberförster war geknickt, der oberste Baum-Juror Thomas Feda sagte: "Jeder brechende Ast bricht auch das Herz." Die Fichte musste sich einer Schönheits-OP unterziehen, in den Stamm wurden Löcher gebohrt und "Fremdzweige" aus dem Stadtwald hineingesteckt. Außerdem wurde, wie zu Hause auch, die hässliche Seite nach hinten gedreht. Am Montag werden die drei Kilometer langen Lichterketten in Betrieb genommen. Wer es nicht weiß, wird nicht merken, dass der Baum ein Schummelbaum ist.

Explodierte Klobürste

Nicht viel besser erging es dem Christbaum auf dem Willy-Brandt-Platz in Essen. Auch hier gab es Ärger bei der Anlieferung. Die Nordmanntanne war vor 55 Jahren schon einmal ein Weihnachtsbaum, ein winziger allerdings. Danach wurde sie ausgetopft und wuchs im Garten der Familie Beinert-Knotte im Stadtteil Frintrop vor sich hin, bis sie zu viel Schatten warf. Die Familie mailte der Stadt ein Christbaum-Bewerbungsfoto, Anfang November rückte die Motorsäge an. Beim Abtransport verdeckten Äste die Rücklichter, alles dauerte länger als geplant, und als der Baum endlich am Platz stand, war er platt. "Pott-hässlich", spottete die Bild-Zeitung, die traurige Tanne wurde zum Klickhit, musste sich als "explodierte Klobürste" verunglimpfen lassen. Auch hier legten die Baumkosmetiker Hand an, fixierten Äste mit Kabelbinder und stellten kaschierend einen Riesenschlitten vor die Tanne. Am Donnerstag durfte die Familie Beinert-Knotte persönlich die Lichter anschalten.

Hungerfichte

München lässt sich, ähnlich wie Frankfurt, den Baum für den Marienplatz schenken, im Gegenzug darf der Spender im Innenhof des Rathauses für sich werben. Die Warteliste reicht bis ins Jahr 2034. Da müssten sich die auserwählten Gemeinden doch besonders ins Zeug legen, sollte man meinen. Aber nicht immer wird ein angemessenes Gehölz geliefert: Der Baum von 2011, eine magere Spende aus dem Zillertal, ging als "Hungerfichte" in die Geschichte ein. Im folgenden Sommer wurde der unansehnliche Christ- zum Maibaum geadelt - und von Maibaumdieben gestohlen.

Oben ohne

Eisenach leistete sich 2012 eine Tanne ohne Spitze, die von einem Radiosender zum "hässlichsten Weihnachtsbaum Thüringens" gekürt wurde. Ein Anonymus hatte solches Mitleid, dass er einen Brief zwischen die Zweige steckte. Einen Liebesbrief: "Wenn Du nicht so stachelig wärst, würde ich Dich gern umarmen."

Modell Waldsterben

Besonders pannenreich ist die Geschichte der Berliner Bäume. 2003 hackten Studenten die Tanne vor dem Roten Rathaus um (aus Protest gegen Kürzungen), 2001 zerbrach der Baum am Ernst-Reuter-Platz beim Aufstellen. Das größte Desaster gab es beim Millenniums-Weihnachtsmarkt vor der Gedächtniskirche, als aus Franken ein Modell "Waldsterben" geliefert wurde. Der Großhändler musste zugeben, dass seine Mitarbeiter die falsche Tanne gefällt hatten. Das Gerippe wurde abgebaut und an die Elefanten im Zoo verfüttert.

Müllsammlung

Christbaum-Krisen gibt es nicht nur in Deutschland. Rom machte sich im vergangenen Jahr mit seinem lieblos geschmückten Exemplar auf der Piazza Venezia lächerlich. "Sparbaum", "bedeckt mit Müll", lästerten Kommentatoren aus aller Welt auf Facebook. Die Stadt organisierte rasch ein paar weitere Lichterketten und einen Stern für die Spitze. Da war der Frieden in Stadt und Erdkreis wieder hergestellt.

Lazarus im Nadelkleid

Der Christbaum auf dem Petersplatz im Vatikan hat es gut, für ihn gilt das Prinzip der christlichen Nächstenliebe: Der Papst akzeptiert ihn, unabhängig von Wuchs und Gestalt. Die diesjährige Fichte, ein Geschenk aus Polen, überlebte einen Blitzschlag und verlor dabei ihre Spitze. Ein Lazarus im Nadelkleid.

Frisch aus der Reha

So viel Nachsicht hätte sich der Christbaum des Jahres 2016 in Montréal auch gewünscht. Er war dem aktuellen Vatikan-Exemplar nicht unähnlich, auch ihm fehlte die Spitze, außerdem war er schmächtig und schief. "Er sieht aus, als wäre er gerade aus der Reha entlassen worden und könnte gut ein bisschen Kleingeld für die Busfahrt nach Hause gebrauchen", lautete ein Facebook-Kommentar. Die Tanne wurde besonders kritisch beäugt, weil die Stadt großmundig angekündigt hatte, anlässlich des 375. Gründungsjubiläums den Baum vor dem Rockefeller Center in New York übertrumpfen zu wollen. Klappte nicht ganz, die Tanne war sieben Meter kleiner als das berühmte Vorbild.

Charlie-Brown-Fichte

Die 90 000-Einwohner-Stadt Reading im US-Bundesstaat Pennsylvania ist für ihre vier Brezelbäckereien bekannt, in die Medien schafft sie es trotzdem nur selten. 2014 aber berichteten CNN, die Washington Post und andere von dort. Es ist ein Fall von nationalem Interesse, wenn sich eine Stadt im Weihnachtsbaum vergreift. Die lichte Fichte wurde landauf, landab als "Charlie-Brown-Christbaum" verspottet, in dem Peanuts-Kurzfilm von 1965 schleppt Charlie Brown statt des bestellten rosa lackierten Aluminiumweihnachtsbaums ein nadelndes Mängelexemplar an. In Reading beschloss der Bürgermeister: Der Baum muss weg. Die Lichterkette war bereits abmontiert, da geschah ein Wunder. Die Readinger solidarisierten sich mit dem Baum, Hunderte riefen im Rathaus an. "Wir sind eine Underdog-Stadt - und das ist ein Underdog-Baum", sagte eine Bürgerin im Radio. "Er braucht nur ein bisschen Liebe", fügte eine andere hinzu. Die Fichte durfte bleiben. Nach Weihnachten wurde aus ihrem Holz eine Bank gezimmert, sie steht im Readinger Rathaus als ewige Weihnachtsbotschaft: Gott liebt auch die krummen Dinger.

© SZ vom 25.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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