Viernheim:Bedrohung mit Attrappen

Lesezeit: 2 min

Ein Polizist mit Maschinenpistole vor dem Kino in Viernheim. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Ein 19-Jähriger brachte im Kino in Viernheim 18 Menschen in seine Gewalt. Die Polizei erschoss ihn. Dabei hatte er keine scharfen Waffen bei sich.

Von Josef Kelnberger, Viernheim

Von einem Amoklauf, einer Geiselnahme war zunächst die Rede, sogar einen Terroranschlag befürchtete man. Nun müssen neue Begrifflichkeiten her. Denn der junge Mann, der am Donnerstagnachmittag in einem Kinocenter in der südhessischen Stadt Viernheim 18 Menschen in seine Gewalt brachte, trug keine scharfen Waffen bei sich. Man fand zwei Schreckschusswaffen - eine Pistole und ein Gewehr - sowie Handgranaten-Attrappen neben seiner Leiche. Erschossen hatte ihn ein Sondereinsatzkommando in einer "Bedrohungssituation", so der Polizeijargon, nachdem der Mann offenbar mehrere Schüsse abgefeuert hatte. Er war 19 Jahre alt, gebürtiger Mannheimer, wohnhaft in Niedersachsen, wie die Staatsanwaltschaft Darmstadt am Freitag mitteilte. Was ihn zu der Tat trieb, ist nun Gegenstand von Spekulationen. Ein inszenierter Selbstmord vielleicht?

Mit der Theorie vom "Suicide by Cop", Suizid durch die Polizei, melden sich jedenfalls Kriminalpsychologen zu Wort. Demnach hätte der Täter die Polizisten in eine Situation bringen wollen, in der sie gar nicht anders konnten, als auf ihn zu schießen. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt äußert sich zu solchen Mutmaßungen nicht. Menschen, die vom Täter in dem Kinozentrum festgehalten worden waren, berichteten jedenfalls, er habe einen "verwirrten" Eindruck gemacht. Ob der Mann in psychiatrischer Behandlung oder schon als Straftäter aufgefallen war? Auch dazu gab es am Freitag keine Informationen.

Auch wenn die Waffen offenbar nicht echt waren, die Angst in Viernheim war doch sehr real. Die unspektakuläre Stadt in Südhessen mit ihren 30 000 Einwohnern, zehn Kilometer von Mannheim entfernt - der Schauplatz eines Amoklaufs? Warum nicht, sagte Matthias Baaß, der Bürgermeister. Man solle nicht glauben, so etwas könne sich nur in großen Städten ereignen. "Heutzutage ist alles möglich." Zumindest hält man alles für möglich heutzutage.

Der Täter trug Waffen, Sturmhaube und Springerstiefel, als er gegen halb drei ins "Kinopolis" stürmte. Sieben Filme standen zu dem Zeitpunkt auf dem Programm, darunter "Alice im Wunderland", "Angry Birds" und "Zoomania". Wegen der Sommerhitze hielten sich kaum mehr als 30 Besucher im Kino auf, aber darunter waren auch Kinder. Ein Angestellter drückte den Alarmknopf und verständigte so die Polizei. Insgesamt vier Angestellte und 14 Besucher hat der 19-Jährige dann festgehalten. Als alles vorüber war, sagte einer von ihnen: Natürlich habe er "an Paris gedacht".

Der Schrecken in den Köpfen ist allgegenwärtig. 89 Tote beim Terror-Massaker im Pariser Konzertsaal Bataclan am 13. November 2015. Oder die zwölf Toten beim "Batman"-Amoklauf in einem Kinosaal in Aurora, Colorado, am 20. Juli 2012. Die Bilder der Gewalt verselbständigen sich, wenn Nachrichten wie jene aus Viernheim kursieren. Und sogar die Nachrichten selbst entwickeln ein Eigenleben. Von mehreren Dutzend Verletzten wurde zunächst berichtet, und als in den sozialen Netzwerken davon die Rede war, der Täter habe "gebrochenes Deutsch" gesprochen, schien auch der Terrorverdacht nahezuliegen.

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: