USA:Sofortrentner

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Der riesige Powerball-Jackpot ist geknackt, der Gewinn auf drei Spieler verteilt. Aber darf man soviel Geld unter so wenige Leute bringen? Und was soll Lotto-Normalverbraucher damit nun anstellen?

Von Johan Schloemann

Der Anderthalb-Milliarden-Jackpot der amerikanischen Staatslotterie Powerball, der größte bisher, ist geknackt. Drei Mitspieler teilen sich, wie berichtet, den Hauptgewinn, weil sie alle Zahlen richtig rieten. Sie hatten ihre Lose in Kiosken und Supermärkten in Melbourne Beach, Florida, in Munford, Tennessee, und in Chino Hills in Kalifornien gekauft. Das freut auch die Verkäufer der Lose, weil die in den USA - wenn auch je nach Bundesstaat verschieden - an den Lottogewinnen beteiligt werden.

Aber was machen die drei jetzt mit dem ganzen Geld? Der Reiz dieser Spekulation macht gerade mindestens ganz Amerika verrückt, und er scheint immer besonders am Anfang am größten zu sein, wenn die Identität der Gewinner noch nicht oder gerade erst bekannt ist. Am Freitag trat bisher nur das ziemlich beleibte Ehepaar John und Lisa Robinson aus Tennessee an die Öffentlichkeit. Sie bekannten in der Today Show, sich noch ziemlich eingeschüchtert zu fühlen und sich noch nicht viele Gedanken über die Zukunft gemacht zu haben. Und ihr Anwalt habe ihnen - warum auch immer - geraten, zuerst die Nation im Frühstücksfernsehen zu informieren und erst danach das Gewinnerlos offiziell einzureichen.

Man stelle sich vor, man wäre das selber! Die Medien, die Bürogespräche, das Internet bersten seit Tagen vor Ratschlägen, Fantasien, Falschmeldungen, Witzen - und vor Interessenten, die eine Verwendung des Geldes für andere Zwecke vorschlagen, zum Beispiel für ihre eigenen. Und die lächerlich geringe Chance, den Hauptgewinn bei Powerball zu ergattern, wird für alle erdenklichen Zielgruppen anschaulich gemacht: Als 20-jähriger Mann sei es wahrscheinlicher, in den nächsten zwei Minuten zu sterben. Andere haben ausgerechnet, es sei noch dreimal unwahrscheinlicher, in der Lotterie zu gewinnen, als durch das Wählen einer zufälligen Mobilfunknummer den Showstar Kim Kardashian telefonisch zu erreichen. Trotz dieser Chancen ist übrigens auch ein Mann aus Hannover unter den Powerball- Gewinnern: Er erspielte übers Internet mit fünf Richtigen zwei Millionen Dollar.

Den Powerball-Gewinn kann man sich sofort auf einmal oder in jährlichen Raten auszahlen lassen. Im letzteren Fall bekämen die drei Hauptgewinner nach ersten Berechnungen - und nach Abzug von Steuern - jeweils ein Einkommen von 5,3 Millionen Dollar, also 4,86 Millionen Euro, jedes Jahr, dreißig Jahre lang. Und zwar garantiert: unabhängig davon, ob sie vorher sterben, denn dann würde das Geld an die Erben weitergezahlt.

Die Experten, von denen es gerade sehr, sehr viele gibt, raten dringend zu dieser gestückelten Auszahlung. Warum? Man verweist auf die oft erzählte und gut belegte Erfahrung, dass viele Lottomillionäre an ihrem plötzlichen Reichtum scheitern: Falsche Investitionen, falsche Freunde, Alkohol, Drogen, Enttäuschungen, Scheidungen treiben sie in den Ruin. Es ist natürlich sehr nett, dass man Menschen vor so einem Schicksal bewahren will. Aber hinter der Empfehlung einer regelmäßigen Zahlung steckt sicherlich noch mehr: Es ist die Vorstellung, den Lottogewinn aus der unfassbaren Willkür des Glücks gleichsam in eine Art von gehobenem Angestelltendasein überführen zu können. Der bezeichnend spießige Begriff, der dafür im deutschen Lottowesen verwendet wird, lautet ja "Sofortrente". Etwas fröhlicher und lustiger - wenn auch für manche ebenfalls potenziell albtraumhaft - klingt dagegen der Name der italienischen Lotterie "Turista per sempre": "Für immer Urlauber".

Im Geldregen: Was tun mit 5,3 Millionen Dollar, und das 30 Jahre lang jährlich? (Foto: imago)

All das sind Versuche, dem Irrsinn einen Sinn zu geben. Angesichts der immer astronomischeren Summen in den Jackpots hört man vermehrt die Frage: Ob es denn nicht geschmacklos sei, einzelne Menschen aus heiterem Himmel mit so viel Geld zu überschütten? Mit Milliarden, die die griechischen Staatsschulden verkleinern oder das Leid von Flüchtlingen mindern könnten? Entgegnet wird: Die Teilnahme am Lotto sei ja freiwillig. Man solle doch all den armen Schluckern nicht ihr harmloses Vergnügen nehmen, dass darin besteht, sich ein Los für zwei Dollar zu kaufen und ein bisschen von ewiger Sorglosigkeit zu träumen. Und hat nicht schon Alexis de Tocqueville, der große USA-Erklärer des 19. Jahrhunderts, das gesamte amerikanische Wirtschaftsleben als "eine riesige Lotterie" bezeichnet?

Tatsächlich scheint sich an den Lottogewinnern die ganze Faszination und Widersprüchlichkeit festzumachen, die man dem Reichtum und den Reichen insgesamt entgegenbringt. Wir wollen sie prassen sehen und von uns entrücken, wollen ihre Ferraris und ihr Bad im Champagner peinlich finden, hätten aber gerne auch etwas ab vom Luxus. Wir raten den Lottogewinnern und allen Superreichen, irgendwie "normal" zu bleiben - wenn sie dann aber gar so nüchtern leben wie die Aldi-Brüder, ist es auch wieder langweilig.

Und das mit der "Lotterie des Lebens" stimmt insofern, als manche große Erbschaften oder Börsengewinne natürlich ebenso willkürlich sind wie die staatliche Lotterie. Die Kritik am Lotto äußerte übrigens schon im 18. Jahrhundert Adam Smith, der heute als Gottvater des freien Marktes gilt. Wie er würden wir doch so gerne daran glauben, dass sich nur eigene Leistung auszahlt.

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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