Umfrage in der Schweiz:Schwyzerdütsches Beziehungsgeflecht

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Höhere Löhne, bessere Lebensqualität, weniger Steuern und weniger Stress - diese Dinge faszinieren die Deutschen an der Schweiz. Umgekehrt sind die Schweizer von den "Tüütschen" eher genervt. Doch ist es wirklich so schlimm, wie die Sprüche der vergangenen Wochen vermuten lassen?

Wolfgang Koydl

Es wäre ein Trugschluss anzunehmen, dass es sich bei den Schweizern mehrheitlich um ein langweiliges Volk handelt. Im Gegenteil, die Eidgenossen sind immer für eine Überraschung gut: Mal lehnen sie mehrheitlich mehr Urlaub und niedrigere Steuern ab, mal schlagen sie den FC Bayern, manchmal gewinnen sie deutsche Talentwettbewerbe: Der Berner Luca Hänni siegte am Samstag bei "Deutschland sucht den Superstar". Und nun erklären sie auch noch ihre Sympathien für die Nachbarn aus dem sogenannten großen Kanton.

Zwei Männer genießen das Sommerwetter am Zürichsee: Wenn die Deutschen an das kleine Nachbarland denken, fällt ihnen meist nur positives ein, zum Beispiel höhere Löhne und weniger Stress. (Foto: dpa)

Satte 64 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer mögen die Deutschen, wie eine soeben veröffentlichte Umfrage bestätigt. Bemerkenswert an der Erhebung ist vor allem, dass sie nicht von einer germanophilen Fokusgruppe in Auftrag gegeben wurde, sondern von dem Massenblatt Sonntagsblick, bei dem man annehmen kann, dass es stets die Hand am Puls des Volksempfindens hat.

Nur 36 Prozent der Befragten empfinden die Zahl der Deutschen, die in der Eidgenossenschaft leben und arbeiten, als zu hoch und würden daher die weitere Zuwanderung begrenzen wollen. Sie teilen die Meinung der Zürcher Parlamentsabgeordneten Natalie Rickli, die vor einer Woche in einer TV-Debatte mit vier kleinen Worten einen Sturm der Entrüstung in Deutschland und in der Schweiz ausgelöst hatte: "Es hätt zviil Tüütsche", erklärte die Nachwuchspolitikerin der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Schon vor Jahren, so meinte sie, hätte die Regierung in Bern die mit Brüssel vereinbarte Freizügigkeit bei der Zuwanderung aus der EU vor allem bei den Deutschen einschränken sollen.

Der erdrückend große Nachbar Deutschland

Tatsächlich sind die Deutschen im Schweizer Alltag praktisch unübersehbar. 276.000 Deutsche haben hier Arbeit gefunden, ob an der Supermarktkasse oder an der Spitze internationaler Unternehmen. Deutsche unterrichten Schweizer Studenten, Deutsche kurieren Schweizer Patienten, ein Deutscher trainiert die Nationalmannschaft, und sogar der Chefredakteur des Sonntagsblick kommt aus Deutschland.

Wie erdrückend der große Nachbar wirken kann, belegte der Zürcher Autor Bruno Ziauddin ("Grüezi Gummihälse"). Er errechnete, dass das Größenverhältnis zwischen der Deutsch-Schweiz und der Bundesrepublik jenem zwischen Deutschland und China entspreche - und er fragte, wie sich wohl die Deutschen fühlen würden, wenn mehrere Millionen Deutsch sprechender Chinesen mit ihnen um Jobs konkurrieren würden.

Die Schweizer Deutschen aber erhalten bei den Deutsch-Schweizern fast durchgehend gute Noten - und sie verbessern sich, je näher sie sie kennenlernen. Dann sind die persönlich bekannten Teutonen - so die Blick-Umfrage - gar nicht mehr so arrogant, wie man ihnen nachsagt, und sie sind noch fleißiger als erwartet.

Als nachteilig wird freilich empfunden, dass sie die Miet- und Immobilienpreise hochtreiben und sich nicht so gut anpassen wie andere Ausländer. Damit dürften in erster Linie Sprachkenntnisse gemeint sein: Ein Kosovo-Albaner beherrscht meist rasch akzentfreies Bäärn- oder Züri-Tüütsch. Ein Deutscher hingegen schafft das Rachen-Ch häufig auch nach Jahren nicht.

Und was fasziniert die Deutschen an der Schweiz? Höhere Löhne und höhere Lebensqualität, weniger Steuern und weniger Stress. Oder wie es der Schriftsteller Adolf Muschg einst süffisant formulierte: "In der Schweiz ist übrigens alles schöner und besser."

© SZ vom 30.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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